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Die Gesellschaftskritik IDas creept!

WAS SAGT UNS DAS?Ein Mann sucht gemeinsam mit einem Fernsehteam eine Zufallsbekanntschaft heim – und die Herzen fliegen ihm zu

Wäre Filip Gravers Nielsens Geschichte ein Liebesfilm, er erzählte sich so: Als der Däne im Mai 2015 Berlin besucht, trifft er in der U-Bahn eine Frau. Sie unterhalten sich kurz, doch schnell trennen sich ihre Wege. Zurück auf Bornholm, kann er die Bekanntschaft nicht vergessen. Als Nielsen im Fernsehen einen Werbespot für eine Sendung namens „Efterlyst Kærlighed“ („Fahndung Liebe“) sieht, beschließt er, mit einem Kamerateam nach Berlin zurückzukehren, um die Unbekannte zu finden. Allein ein Handyfoto besitzt er, weiß lediglich, dass sie Theologin ist. Die Hoffnung aber treibt ihn an. „Er erinnert sich daran wie an seinen Hochzeitstag“, schreibt der Tagesspiegel über die Begegnung.

Gehen wir davon aus, Filip Gravers Nielsen sei ein sehr netter Mensch – auch in Annahme bester Intentionen bleibt seine Suchaktion: irre unheimlich. Denn ersetzt man den sympathischen Zottelbart durch einen unsympathischen Sonderling, liest sich die Geschichte plötzlich wie ein Thriller: Ein Mann stellt einer Zufallsbekanntschaft nach, über Länder- und Anstandsgrenzen hinweg.

Ob Nielsens „Auserwählte“ Single ist oder überhaupt an Männern interessiert; ob es sie verstört, von einem de facto Fremden mit großem Medienterz heimgesucht zu werden, all das sind vernachlässigbare Fragen für den Suchenden und sein Publikum. Allzu unwiderstehlich ist es offenbar, sich auf die Projektionen eines Mannes einzulassen, der sich holen will, was ihm in seiner Gedankenwelt zusteht.

Würde man die Geschichte verfilmen, dann vielleicht als Fernsehfilm mit Abstimmungsoption, ähnlich Ferdinand von Schirachs „Terror“: Wünschen Sie eine Romanze, wählen Sie die 1. Möchten Sie sich lieber vorstellen, vor einem Unbekannten zu stehen, der Ihnen eröffnet, Sie seien die Liebe seines Lebens, wählen Sie die 2 – und anschließend die Nummer der Stalkingberatung. Julia Lorenz

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