■ Die Gerüchte um Scharpings Wechsel verdecken das Problem: Wie teuer darf die Bundeswehr sein?
„Wenn der Bundesverteidigungsminister Nato-Generalsekretär wird, ist Schröder nicht mehr an sein Scharping gegebenes Versprechen gebunden, den Militäretat nicht zu kürzen.“ So lautet eine der beliebtesten Spekulationen im nun schon fast eine Woche anhaltenden Sommerloch-Theater um einen Wechsel Scharpings nach Brüssel. Als ob die Höhe des künftigen deutschen Militäretats durch die Privatabsprache zweier Männer bestimmt würde und nicht durch Entscheidungen, die im Bundestag, der EU und der Nato getroffen werden – maßgeblich unter dem Einfluß des Kosovo-Konflikts. Und als ob ein etwaiger Nachfolger Scharpings auf der Hardthöhe nicht vor denselben politischen und finanziellen Entscheidungszwängen stände.
Die zitierte Spekulation ist kennzeichnend für das armselige Niveau der Debatte um die Zukunft der Bundeswehr und damit ihren Kostenbedarf. Man redet über Karrieren einzelner Politiker; dank der Profilierungssucht der FDP mit schöner Sommerloch-Regelmäßigkeit auch über den Wehrdienst für Frauen; und maximal über einzelne Rüstungsprojekte wie z. B. den Eurofighter.
Doch die seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation vor fast zehn Jahren fälligen Grundsatzdiskussionen über Notwendigkeit, Rolle, Struktur, Umfang und – davon abgeleitet – auch den Kostenbedarf deutscher Streitkräfte werden von der Bonner Politik weiterhin vermieden und hinausgeschoben. Mit der Berufung einer „Wehrstrukturkommission“ gab Scharping im letzten Herbst die Absicht vor, bis Ende dieses Jahres Antworten auf diese Fragen vorzulegen. Doch das eingeschränkte Mandat und die Zusammensetzung der Kommission, die zur guten Hälfte nicht durch Fachkenntnis oder sonstigen sachlichen Bezug zum Thema aufgefallen war, machen wenig Hoffnung auf brauchbare Ergebnisse.
Doch in den letzten Wochen ist der Druck auf die Bonner Politik gewachsen, die überfälligen Grundsatzentscheidungen nicht mehr länger aufzuschieben. Zu diesem Druck beigetragen haben neben Eichels Sparvorschlägen für die Hardthöhe der Kosovo-Krieg – vor allem die äußerst kostspieligen einträchtigen Beschlüsse des Kölner EU-Gipfels für eine gemeinsame Sicherheits- und Militärpolitik.
Bislang mogeln sich freilich alle – von der CSU bis zu den Grünen – über die inneren Widersprüche ihrer jeweiligen Positionen. CDU/CSU, SPD und FDP halten an der Wehrpflicht fest, obwohl die von ihnen stets in den Vordergrund gestellten Aufgaben der militärischen Krisen-und Konfliktintervention von maximal 15 Monaten dienenden Wehrpflichtigen nicht übernommen werden können; obwohl die nach wie vor behauptete „Wehrgerechtigkeit“ innerhalb eines Altersjahrgangs 18jähriger Männer schon lange nicht mehr existiert. Und wenn, wie von SPD-Politikern vorgeschlagen, die bisherige Sollstärke von 340.000 um 50.000 Soldaten reduziert würde, wäre diese Ungerechtigkeit noch größer.
Der FDP-Vorschlag, die Wehrpflicht auf fünf Monate drastisch zu verkürzen, würde zwar wieder mehr „Wehrgerechtigkeit“ schaffen – dafür ist er nicht seriös wegen der viel zu kurzen Ausbildungszeit für die Soldaten. Die Grünen fordern die völlige Abschaffung der Wehrpflicht, obwohl diese Maßnahme die von ihnen bislang abgelehnten Krisen-Reaktionskräfte noch deutlich stärken würde. Geflissentlich drücken sich die grünen VerteidigungspolitikerInnen um diesen Widerspruch.
Schließlich gibt bislang keine der Bonner Parteien eine Antwort auf die Frage, welche Konsequenzen die Abschaffung oder drastische Verkürzung der Wehrpflicht für den Zivildienst hätte, ohne die zahlreiche soziale Einrichtungen ihre Angebote erheblich einschränken müßten.
Bei allen Entscheidungen über die Zukunft der Bundeswehr, die in den nächsten Monaten möglicherweise getroffen werden, gibt es eine Unwägbarkeit. Sollte der Europäische Gerichtshof bei seiner für das Frühjahr 2.000 angekündigten Entscheidung der Klage einer Hamburger Studentin gegen das grundgesetzliche Verbot des Waffendienstes von Frauen stattgeben, würden sämtliche statistischen Grundlagen für die Erwägungen über die Abschaffung, Beibehaltung und Dauer der Wehrpflicht ins Wanken geraten. Andreas Zumach
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