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Die Gen Z nach der Europawahl Maulen oder machen

Warum wählen siebzehn Prozent der unter Dreißigjährigen die AfD – und was kann die Junge-Leute-Partei Volt dagegen setzen?

Dieser Meinung scheinen nicht alle jungen Menschen zu sein Foto: Fritz Engel

taz FUTURZWEI | Maximilian Krah schaut mir direkt in die Augen. Seine Haare sind ordentlich nach hinten gegelt, Anzug und Krawatte sitzen: „Wohlstand ist die Herausforderung und nicht Klima-Voodoo.“ Es folgt das nächste Reel – auf dem Cover ein blondes junges animiertes Pärchen – mit dem Titel: „Gute Politik ist Rechts“.

Seit fast einer Stunde schaue ich mir nun an, was die AfD so auf Tiktok zu bieten hat. Siebzehn Prozent der unter Dreißigjährigen, also meiner Generation, haben sie gewählt. Und ihre Präsenz bei Tiktok soll dabei eine nicht unwichtige Rolle spielen. So jedenfalls die Experten.

Ich scrolle weiter. Bekomme von AfDlern versprochen, dass sie sich um die Renten kümmern, um meine Sicherheit auch für die Zukunft. Krah erklärt mir dann, dass Europa und Russland zusammenarbeiten müssen, wir mehr deutsche Kinder brauchen und sowieso: wenn das so weitergeht wie bisher in Berlin und Brüssel, dann sehe es düster aus für uns alle.

Kolumne STIMME MEINER GENERATION

Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Ich will einfach verstehen: was macht diese rechtspopulistische – in manchen Teilen sogar gesichert rechtsextreme - Dummschwätzer-Partei so beliebt bei den jungen Menschen? Lassen sich diese siebzehn Prozent der Sechzehn- bis Vierungszwanzigährigen, so einfach auf Tiktok das Hirn waschen? Oder hat etwa das Bildungssystem vielleicht so krass versagt, richtig zu vermitteln, dass „so etwas“ wirklich „nie wieder“ passieren darf?

Junge Nazis gab's auch an meiner Schule

Ich muss daran denken, wie es bei mir auf dem Kleinstadt-Gymnasium vor etwas mehr als einem Jahrzehnt war: Wo antisemitische Beleidigungen völlig normalisiert waren. Wo der eine Lehrer, der mittlerweile Rektor ist, gerne meinen türkischen Mitschüler im Mathe-Unterricht bloßgestellt hat, weil „Türken kein Mathe können“ und wo die „coolen, rebellischen“ Schüler damit geprahlt haben, NPD zu wählen. Manchmal wundert es mich, dass sich Medien über die jungen rechten Wähler überhaupt wundern.

Und warum sprechen sie eigentlich nur über die „jungen Menschen“? Funfact: Von den Millenials, also den 30 bis 45-Jährigen, haben sogar 20 Prozent die AfD gewählt haben. Und die hängen für gewöhnlich nicht auf Tiktok.

Klar, die Zukunft sieht nicht super aus: überall Krisen, finanzielle Unsicherheiten, Kriege, die früher mal großen Parteien scheinen es nicht mehr zu bringen. Manch einer wünscht sich da klarere Regeln. Und deswegen wählen die „Jungen“ nun verstärkt Rechts – so heißt es nun überall in den Medien. „Aber es wählen doch sicherlich nicht alle diesen Müll“, sage ich laut gegen die populistischen Parolen Weidels an, die gerade heftig auf meinem Handybildschirm herum gestikuliert.

Die große Mehrheit hat ja immerhin demokratische Parteien gewählt. Und mehr als die Hälfte welche, die man sogar als liberal und/oder sozial bezeichnen kann. Zum Beispiel: Volt. Neun Prozent der Sechzehn- bis Vierundzwanzigjährigen haben diese noch sehr kleine Partei gewählt. Also doch nicht alles Nazis und Mitläufer?

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Über den Zerfall einer Weltordnung

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Erasmus-Partei? Grün? Liberal?

Volt wird von manchen etwas hämisch als „elitäre Erasmus-Partei“ bezeichnet. Meine erste Erfahrung mit denen war, dass sie mir am Samstag auf der Demo gegen Rechtsextremismus ein „Sei kein Arschloch“-T-Shirt geschenkt haben. Ich scrolle etwas durch das Wahlprogramm der Kleinpartei, die es erst seit etwa sechs Jahren gibt. Sie scheint mir ein bisschen eine Mischung zwischen Grünen und FDP zu sein, mit Fokus auf europäische Zusammenarbeit.

„Unsere Vision sind die Vereinigten Staaten von Europa“, sagt Rebekka Müller. Ich treffe sie – mit Kleinkind und Freund – im Berliner Wedding, ihr Nagellack hat die Farbe ihrer Partei: lila. Müller stand für die Europawahl auf Listenplatz 4 und hat somit den Einzug ins EU-Parlament knapp verpasst. Auf drei Sitze ist die Partei mit 2,6 Prozent gekommen. „Außenpolitik, Verteidigung, Klima, Energie und Infrastrukturthemen, das wird momentan noch viel zu stark nationalstaatlich geregelt. Wir wollen, dass diese Kompetenzen stärker auf der europäischen Ebene liegen.“

Das scheint mir jetzt schon etwas sehr utopisch in Anbetracht von identitären Bewegungen in ganz Europa, den aktuellen Wahlergebnissen und Politikern wie Viktor Orbán. „Die Frage ist halt, wann?“, sagt Müller. „Und sind wir bereit, dafür zu kämpfen? Es liegt an uns.“ Laut ihr müssen Mehrheiten mit konstruktiven, positiven Zukunftsvisionen geschaffen werden. Ich frage mich, was sie mit „kämpfen“ meint, da spricht sie schon weiter: „Ich glaube schon, dass die Menschen nach einer positiven Zukunftsvision lechzen, aber das erfordert natürlich viel mehr Erklärungsaufwand.“

Sie redet wirklich so. Und das klingt auch alles vernünftig – und viel langweiliger als Krahs klare Worte auf Tiktok, denke ich. „Es gibt viele, die auf die Narrative der Rechten reinfallen, weil es eine einfache Erklärung auf die aktuelle Situation bietet – aber definitiv keine nachhaltige Lösung,“ sagt Müller. Da komme dann Volt ins Spiel, mit einer konstruktiven Zukunftsvision: Ein Europa, das Mut macht: klimaneutral, digitalisiert, mit konstruktiver Asylpolitik und einer gemeinsamen Sicherheitsstrategie.

AfD-Wähler = Arschloch

„Aber wer dann noch die AfD wählt, ist ein Arschloch?“, frage ich in Anspielung auf das polemische T-Shirt, das ich geschenkt bekommen habe. „Definitiv. Die AfD, das sind Menschen, die unsere demokratische Grundordnung abschaffen wollen. Wer solche Leute in unsere Parlamente wählt, die Rechte von Frauen und Minderheiten beschränken wollen, Menschen ohne deutschen Pass beziehungsweise mit Migrationsgeschichte deportieren wollen, der ist Teil des Problems. Punkt!“

Nun gehe es darum, etwas Konstruktives, eine positive europäische Vision schaffen, die die Menschen überzeugt. Ich habe das Gefühl, wir drehen uns im Kreis.

Müller ist komplett überzeugt von der EU: ein „wahnsinniges Volksprojekt“, wie sie das nennt, „das wir seit dem zweiten Weltkrieg aufgebaut haben und ein Garant für Frieden war.“ Es bröckele und, dass es komplett zusammenbreche, sei umgehend zu verhindern. „Volt ist gekommen, um zu bleiben!“ sagt Müller dann noch.

Vermutlich wären die Vereinigten Staaten von Europa keine schlechte Idee, denke ich, und klar – auch wenn ich vermutlich niemals bei Volt eintreten werde – ein demokratisch denkendes und handelndes EU-Parlament ist immer besser als eines, in dem die Autokraten immer mehr werden und die Konservativen ihnen immer näher kommen.

Gestalten statt sich nur beschweren

„Es ist alles möglich, wenn wir die politischen Mehrheiten haben, die Leute aktivieren und uns zusammen tun. Das Potential ist da“, wiederholt Müller. Es klingt fast wie ein Mantra und kommt etwas müde daher, vermutlich durch den anstrengenden Wahlkampf.

Sie hat sich bewusst für Volt entschieden, um sich nicht nur zu beschweren, sondern politisch mitreden und gestalten zu können, denke ich mir. Vielleicht ist es das, was die Mehrheit der jungen Wähler sich eigentlich wünscht: dass die vielen kleinen sozial-liberal denkenden Parteien es schaffen, wirklich und konstruktiv zusammen zu arbeiten. Vielleicht haben sie aber auch einfach intuitiv und unüberlegt gewählt.

Und eine EU-Wahl ist noch immer keine Bundestagswahl.

Stimme meiner Generation“ – die Gen-Z-Kolumne des Magazins taz FUTURZWEI, geschrieben von Ruth Lang Fuentes und Aron Boks, erscheint in loser Folge auf tazfuturzwei.de.