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■ Zur politischen Kultur des RücktrittsDie G-Skala

Erst der Rücktritt zeigt den wahren Charakter des Politikers. Erst im Rücktritt werden seine wirklichen Fähigkeiten offenbar: bürokratische Engstirnigkeit oder politische Genialität, langweilige Presseerklärung oder gekonnte Inszenierung des eigenen Untergangs. Hier ist wohlgemerkt nicht davon die Rede, ob und wann ein Politprofi zurücktritt, sondern ausschließlich wie er oder sie das vorläufige Ende der eigenen politischen Karriere darbietet. Politische Inhalte? Pfui Teufel! Wir wollen keine komplizierten wirtschaftspolitischen Erklärungen hören, wir verlangen den Menschen: Schweißperlen auf der Stirn, unsicherer Gang, beschlagene Brille.

Bei der Inszenierung des politischen Rücktritts können wir seit der Nacht zum Donnerstag die Gauweilersche Skala (abgekürzt: G-Skala) anwenden. Und die geht so: Stufe 1: Bundesbildungsminister Ortleb, ein Mann, den ohnehin niemand kannte, erklärt sein Ausscheiden aus dem Kabinett. Langeweile pur! Eine schriftliche Erklärung verweist auf die angegriffene Gesundheit. Parteifreunde verabschieden ihn, als sei er soeben verstorben. Der Skandalwert tendiert gegen null. Unendliche Öde!

Stufe 2, schon gekonnter: Wirtschaftsminister Möllemann stolpert über einen Vetter und dessen Chips für Einkaufswagen. Gute Geschichte: Familiäre Verquickungen interessieren auch jeden, der von Wirtschaft keine Ahnung hat (wie Möllemann selbst), Einkaufswagen kennen alle. Der Rücktritt selbst wird, gekonnt inszeniert, bis zur letzten Sekunde geheimgehalten, um dann medienwirksam auf einer großen Pressekonferenz bekanntgegeben zu werden. Ein hoher Unterhaltungswert ist garantiert. Glückwunsch!

Stufe 3 aber ist unübertroffen, und für sie kommt natürlich nur Peter Gauweiler selbst als Pate der gleichnamigen G-Skala in Frage. Skandalbenotung: 1a. Wenn ein Saubermann-Minister einem stadtbekannten Ganoventreff unter die Arme greift, versteht das jeder und begreift das keiner. Inszenierung: 1a. Tagelange Gerüchte, Geheimgespräche mit der Parteispitze, Aschermittwochsreden von Stoiber. Und dann, der Höhepunkt, Gauweiler selbst unter seinen Getreuen im Münchner Bierkeller: Tritte gegen die Presse, Anfeindungen gegen die eigene Partei, zwei Stunden lang Kabarett erster Güte — und dann erst, ganz zum Schluß, verschämt und kaum zu bemerken: der Rücktritt. Tusch!

Je besser die Rücktrittsinszenierung, desto größer die Rückkehrchancen. Von Ortleb redet schon zwei Wochen nach seinem Abschied kein Mensch mehr. Möllemann dagegen steht schon in den Startlöchern für die nächste Karriere. Und Gauweiler? Der ist zwar zurückgetreten, aber eigentlich auch wieder nicht. Als Münchner CSU-Chef wird er das Publikum weiter trefflich unterhalten. Da bleibt uns nur die eine, neiderfüllte Empfehlung: Weiter so! Klaus Hillenbrand

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