Die Fußballer des SC Europa kennen sich mit Niederlagen aus. Ihr Umgang damit verdient Respekt: Die Sitzenbleiber
AM RAND
Klaus Irler
Du denkst, du bist der Aufgabe gewachsen, aber es kommt anders. Erst läuft es schlecht, dann sehr schlecht. Deine Erfahrung hilft dir nicht, deine Nerven lassen dich im Stich, dein Kopf ist blockiert. Du verlierst das Ruder. Damit hast du nicht gerechnet. Aber du kannst nichts machen, du fährst die Sache gegen die Wand und stehst da wie der letzte Depp. Und jetzt?
Die Antwort, die die Fußballer des SC Europa beim Spiel gegen den ASV Bergedorf 85 gaben, lautete: Aufgeben. Bereits nach drei Minuten hatten sie eine gelb-rote (!) Karte kassiert. Nach fünf Minuten war eine glatt rote Karte dazugekommen. Mit nur noch neun Spielern lag der SC Europa, der wirklich so heißt, schnell mit 3:0 zurück. Nach 25 Minuten folgte die dritte rote Karte. Mit nur noch acht Spielern ging es in die Pause.
In der Halbzeit diskutierten die Spieler ihre Chancen für den Rest des Spiels – und entschieden, in der Kabine zu bleiben. Sie traten einfach nicht mehr an. Passiert ist das in der vergangenen Saison, und zwar am zehnten Spieltag der Kreisliga drei.
Der Umgang des SC Europa mit seiner Chancenlosigkeit ist nicht gut fürs Selbstwertgefühl und widerspricht dem Ethos der Leistungsgesellschaft, nach dem Aufgeben keine Option ist. Trotzdem kann ich die Spieler nicht nur verstehen, sondern auch respektieren. Nicht jede Schlacht muss um ihrer selbst Willen geschlagen werden. Man muss stark sein, um das Aufgeben auszuhalten.
Wie es auch anders laufen kann, wenn es schlecht läuft, das war vergangene Woche beim Spiel SC Poppenbüttel II gegen Germania Schnelsen II zu erleben. Die Schnelsener kassierten in der 84. Minute beim Stand von 2:2 ihre zweite rote Karte und drehten danach durch. In der Folge zeigte der Schiedsrichter drei weitere rote Karten gegen Schnelsen und brach die Partie ab, als die Schnelsener nur noch mit sechs Spielern auf dem Platz standen.
Das Spiel artete in eine Schlägerei mit rund 30 Beteiligten aus. Ein 42-jähriger Anhänger von Germania Schnelsen warf seinen Schirm mit der Spitze voran auf den Betreuer des SC Poppenbüttel. Die Polizei rückte mit acht Einsatzwägen an, war allerdings erst vor Ort, als die Schlägerei schon vorbei war.
Nun war Germania Schnelsen II keineswegs chancenlos, es war viel mehr die Gier nach dem Sieg, die die Leute durchdrehen ließ. Oder auch die Angst vor einer Niederlage.
Die Vereinsführung von Germania Schnelsen denkt nun darüber nach, die Mannschaft vom Spielbetrieb abzumelden, berichtet das Magazin Fussifreunde. Der SC Europa hingegen hat die Saison in der Kreisliga drei zu Ende gebracht. Am Ende stand er auf dem letzten Tabellenplatz mit null Siegen.
Ich überlege mir einen Trainingsanzug des SC Europa zu kaufen. Es gibt ihn in der Geschäftsstelle in Mümmelmannsberg für 35 Euro. Ich habe zwar noch nie ein Spiel des SC gesehen, aber ich glaube, ich könnte ein Fan werden.
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