■ Die Fünf Weisen sehen schwarz für die Wirtschaft: Null Bock auf Wachstum
Die Schreckensnachricht des Tages heißt „Nullwachstum“. Sie stammt aus dem neuen Jahresgutachten der Fünf Weisen, die damit düstere Zeiten für die deutsche Wirtschaft (West) ankündigen, „Stagnation“ oder gar „Talfahrt“ befürchten. Die Katastrophennachricht drückte bundesweit – von den Medien bis zum Frankfurter Börsensaal – auf die Stimmung. Tenor: Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen.
Müssen wir? Es ist immer wieder erstaunlich, wie autistisch die magische Formel des Wirtschaftswachstums diskutiert wird. Der Blick auf die bedrohlich abgeknickte Wachstumskurve wird durch doppelseitige Scheuklappen eng begrenzt. Daß die „Grenzen des Wachstums“ der Ausgangspunkt und bis heute das Herz der ganzen Öko-Debatte sind, diese Konsequenz bleibt ebenso ausgeblendet wie die Frage, was denn da, scheinbar naturgesetzlich, wachsen soll und muß. Die Karriere des ökologischen Gedankens bis hinein in die Machteliten hat das Gesicht der deutschen Wirtschaft durchaus verändert – und nicht überall wurde nur grüne Schminke aufgetragen –, aber der zentrale Gedanke dieser Debatte, die Begrenzung des immer schnelleren Vergeudens, Verbrauchens, Wegwerfens, Neukonsumierens, hatte bis heute keinen Einfluß auf eine sakrosankte Wachstumsideologie.
Nun fällt es besonders schwer, in einer Zeit der chronisch leeren Kasse mit heftigen politischen Verteilungskämpfen, mit Massenarbeitslosigkeit und sozialem Elend vor allem im Osten Deutschlands sich den Luxus zu leisten, über alte und neue Grenzen des Wachstums zu reden. Doch mit derselben Berechtigung, mit der jetzt die bedrückenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen eines Nullwachstums beschwört werden, können die dramatischen ökologischen Folgen eines „gesunden“ wirtschaftlichen Dauerwachstums beschrieben werden. Der Unterschied ist nur, daß uns die Wirtschaftskrise schneller und direkter bedroht, während die ökologische Krise sehr viel später in ihrer ganzen Wucht hereinbricht und bislang noch gut auf andere abgewälzt werden kann.
Dürfen wir also mit unserem ökologischen Gewissen dem Nullwachstum 1993 applaudieren? Solange es auf wirtschaftliche Insuffizienz denn auf verantwortungsbewußte und gewollte Planung zurückgeht, solange wir nicht wissen, welche Einzelbranchen noch wachsen und welche nicht (die Recycling- oder die Verpackungsindustrie?), so lange ist ein Nullwachstum kein Erfolg. Aber es ist immer noch besser als ein unkontrolliertes Dauerwachstum. Zur Katastrophenstimmung besteht jedenfalls kein Anlaß, solange ein Kind in Deutschland mehr Taschengeld besitzt als die ärmsten 500 Millionen Menschen auf der Erde an Jahreseinkommen. Manfred Kriener
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