: Die Freiheit des eigenen Sounds
SOWETO „Für uns junge schwarze Südafrikaner wird alles getan“, sagt Tshepo More. Die Jugend von Soweto will gute Schulen, Autos, Häuser, Kreditkarten und gepflegte Fingernägel
■ Die Welt im Nagelstudio oder im Schönheitssalon ist für die nächsten Wochen das Thema unserer Reiseseiten. Denn wo sonst auf der Welt wird bei mühseliger Feinarbeit am Objekt so offen und ohne Tabus geplaudert, getratscht und erzählt: über die Zukunft, die Gesellschaft, die Leute, das Land; über Liebe, Sex und Komplexe. Unsere Autorinnen vor Ort haben dabei nicht nur gepflegtes Nageldesign in French Style erhalten, sondern vor allem Einblicke in Frauenalltag und Schönheitsnormen. Die Arbeit mit Acryl und Gel, mit Wachs und Creme ist weltweit ein Berufszweig der Zukunft, der Salon ein Ort der schrankenlosen Begegnung. (ED) ■ Heute: Soweto, Südafrika
■ Nächste Woche: Bagdad, Irak
■ Veröffentlicht: Katar und Weißrussland
VON MARTINA SCHWIKOWSKI
Die Welt der künstlichen Nägel liegt im Hinterhof. Ein rostiges Schild vor einem einfachen Haus in Soweto weist den Weg: Mbal’Enhle Nail and Beauty Salon. Der Boden des Schönheitssalons ist mit weiß-schwarzen Mosaiksteinchen gepflastert. Im Fenster des kleinen Raums hängen die Preisschilder für die Angebote im Dienste der Schönheit. Popsongs dröhnen durch die offene Holztür. Die Augen der Kosmetikerin sind unter falschen, auffallend geschwungenen Wimpern versteckt. Ihr Blick konzentriert sich auf die Männerhand, deren kurze Fingernägel in Halbmondform gefeilt werden. Ein goldenes Schild an ihrem schwarzen Blazer verrät Namen und Beruf – Palesa More, Beauty Therapist. Ihr männliches Gegenüber schaut verzückt auf seine Nägel. Ein anderer Kunde wartet im roten, an den Nähten aufgeplatzten Sofa und liest Drum, das bei schwarzen Südafrikanern beliebte Magazin über Stars und Sternchen. Der dritte junge Mann im Salon nimmt ein Glas supersüße orange Limonade vom Tablett und schiebt seine Baseballmütze in den Nacken. In Palesas Salon lassen sich auffallend viele junge Männer verschönern.
Die drei – sie heißen zufälligerweise alle Tshepo – gehören zu Palesas Stammkunden. Für Palesa ist es nicht ungewöhnlich, dass männliche Kunden ihren Salon in Orlando, einem Viertel im Township Soweto, aufsuchen. Die 22-Jährige verdient hier ihren Lebensunterhalt, nachdem sie vor zwei Jahren einen alten Stauraum renoviert und als Salon nach ihrem Namen „Schöne Blume“ eröffnet hat. „Es ist eindeutig Trend: Immer mehr Männer lassen sich verwöhnen“, sagt sie mit einem Augenaufschlag, und ihre langen schwarzen Wimpern scheinen fast den Himmel zu streifen.
Der eigene Boss sein
Tshepo More, an dem gerade gefeilt wird, ist Musikproduzent und Palesas Cousin. Er hat die beiden anderen Tshepos unter Vertrag: Tshepo Nkupani ist ein Hiphopkünstler. Der 18-Jährige hat Probleme mit seiner Haut, doch für den Bühnenauftritt am Abend wird Palesa ihn makellos aussehen lassen. Auf einer Liege hat sie künstliche Blüten in Pink gelegt, denn der Dritte im Bunde, der 25-jährige Tshepo Mooy, will massiert werden. Der Kwaito-Star mit den falschen Brillanten in beiden Ohrläppchen „liebt das“, wie er gesteht. Seine Nägel will er auch machen lassen.
Diese Besucher des Salons sind schon in jungen Jahren ihr eigener Boss in einer modernen, glitzernden Unterhaltungsindustrie, die in Südafrika viele Fans hat. Die Musikstile werden miteinander gemischt, und es entsteht ein typisch südafrikanischer Mix. „Klar orientieren wir uns an den amerikanischen Rappern“, sagt der Kwaito-Musiker. Die eigene Kreativität, der eigene Sound des Kwaito bringe aber den lokalen Touch. Das sei es, wonach die schwarze Jugend in Südafrika tanzt.
Palesa lebt bei ihren Eltern im Wohnhaus nebenan. Ihr Schönheitssalon läuft dank Mund-zu-Mund-Propaganda gut. Und das Startkapital von 500 Euro aus einem Jugendfonds der Regierung ist bereits zurückgezahlt. Ihr nächster Plan: Sie will mit ihrer Schwester ein Gästehaus eröffnen, am besten noch vor der Weltmeisterschaft 2010. Das gerade renovierte Orlando-Stadium liegt in Sichtweite – es wird 2010 als Trainingsstätte für die Sportler genutzt. Ohnehin zieht das Township nach Ende der Apartheid besonders internationale Gästen an: Wer die afrikanische Kultur kennenlernen möchte, ist dort bestens aufgehoben. Clubs, Cigar-Lounges, aber auch raue Shebeens (Kneipen) in den ärmeren Gegenden garantieren einen Vibe, den es sonst nirgendwo in Südafrika gibt.
TSHEPO MORE
Palesa, die junge Schönheitsberaterin, fährt jeden Donnerstag mit ihrem „Beauty-Salon im Koffer“ nach Sandton, dem exklusivsten Viertel bei Johannesburg. Die weiblichen Angestellten einer Bank haben dann Zeit für sie, und ein paar Häuser weiter warten die Models der Medienagentur Media 24 auf Make-up und künstliche Nägel. „Weiße Kundinnen mögen lieber Naturtöne und kürzere Nägel, schwarze Frauen übertreiben es gern, wollen zeigen, dass sie sich das leisten können“, sagt Palesa.
In Sandton nimmt sie höhere Preise, als sie im Township verlangen kann, da kostet die Maniküre nur um die 10 Euro, weniger als die Hälfte. Die Kontraste zwischen den teuren nördlichen Wohnvierteln rund um die Metropole Johannesburg und dem aus 32 Siedlungen bestehenden größten Townships Südafrikas sind extrem, aber Palesa bewegt sich gekonnt in beiden Welten, die den südafrikanischen Alltag prägen.
„Diese Nägel sind ansteckend“, sagt die gerade hereingekommene Kundin, Sarah Diholo. Die Mittdreißigerin mit der rötlichen Glatthaarperücke, ein Bubikopf, kommt alle zwei Wochen, wenn sie neue „Krallen“ braucht. „Künstliche Fingernägel gehören einfach zum Lebensstil“, behauptet sie. Die drei Tshepos stimmen ihr zu. Sie mögen es, wenn Frauen falsche Nägel tragen. „Frauen müssen sich um ihr Aussehen kümmern und sich zurechtmachen“, sagt Tshepo Nkupanisie.
Sarah will dieses Mal die Pearls ausprobieren, perlmuttfarbene Acrylnägel. Sie trägt farblose Nägel, doch gen Sommer wird ihre persönlich Nagelmode gewagter und bunter. Manchmal mit Strasssteinchen besetzt oder dunkelrotem Lack im Divastil. Blumenmuster oder „Sexy black“ – heller Lack mit schwarzer Nagelspitze, das ist nicht ganz ihr Stil. Auch Sarah hat ihre eigenes Geschäft: Sie führt einen Speise- und Getränkeservice für Firmen. Die frühere Verkaufsleiterin der südafrikanischen Brauerei ist momentan sehr eingespannt mit dem Catering für die Manager, die das neue öffentliche Nahverkehrssystem in Soweto planen und regelmäßige Treffen in Downtown Johannesburg haben. Die Stationen für Busse sind in Orlando schon gebaut, der Verkehr soll bis 2010 besser fließen. Ein regelrechtes „Warenhaus für die Unterhaltungsbranche“ ist ihr eigentlicher Zukunftswunsch.
Sarah steckt ihre Fingerspitzen in Schalen, gefüllt mit Azeton, um die künstlichen Nägel aufzuweichen. Die Saloninhaberin legt ihre Feilen und Schwämmchen für die Maniküre bereit. „Ich liebe meine Arbeit“, sagt sie. „Ich kam schon als Schulmädchen geschminkt in die Klasse, mit langen, lackierten Nägeln.“ Nach dem Abitur machte sie ein Diplom in Tourismus, aber eine Jungunternehmerin zu sein, das sieht sie als absoluten Bonus an. „Man muss das tun, was einem Spaß macht.“ Und die Arbeit als Angestellte gehört nicht dazu, entschied sie nach einer kurzen Phase als Verkäuferin in einem Bekleidungsgeschäft.
Im Beauty-Salon sind sich alle einig: Selbstständigkeit schafft Freiheit, aber auch Risiken. Ihre Ausbildungschancen waren im Vergleich zu denen ihrer Eltern gut. Und die jungen Entrepreneurs wollen keinesfalls wie ihre Eltern leben. „Für uns junge schwarze Südafrikaner wird alles getan“, sagt Tshepo More. „Die Regierung gibt Unterstützung. Jetzt haben wir die Wahl, was wir aus unserem Leben machen wollen.“ Während ihre Eltern wenig Möglichkeiten und viel Angst vor Versagen hatten, lebt die Jugend von Soweto schnell. Sie will gute Schulen, Autos, Häuser, Kreditkarten und das Leben genießen. „Wir wollen Urlaub machen, uns verbessern, nicht stagnieren“, sagt Palesa. Ein eigenes Geschäft bietet schnelleres Geld, aber auch die Gefahr, Schulden zu machen. Die Verschuldung ist ein großes Problem der südafrikanischen Gesellschaft. Ein neues Kreditvergabegesetz diktiert inzwischen striktere Regeln.
Selbstständig und frei
Palesa wünscht sich mehr Unterstützung für Kleinunternehmen. „Die Banken glauben nicht an Pläne, die wollen was sehen. Oft dauert es lange, bis unsere Geschäftsideen überzeugen und Gelder geliehen werden, auch von Regierungsseite“, sagt sie. Palesa großer Traum ist eine eigene Nagelstudioschule. Denn Schönheitssalons findet man in Soweto überall. Deshalb bildet sie sich ständig weiter. Das gehört für sie zum Erfolg wie hartes Arbeiten. Sie weiß: „Die Konkurrenz schläft nicht.“