: „Die Fische werden innerlich verätzt“
SCHÄDEN Stephan Lutter vom WWF sieht bis zu 600 Tierarten bedroht. Die von BP eingesetzten Chemikalien verstärkten die Giftwirkung
■ 54, ist Referent für internationalen Meeresschutz und Meeresschutzgebiete beim WWF in Hamburg. Diesen vertritt er beim Abkommen für den Nordostatlantikschutz
taz: Herr Lutter, welche Auswirkungen hat die Ölpest auf die Tierwelt im Golf von Mexiko?
Stephan Lutter: Fische, Delfine und Schildkröten verhungern, weil das Plankton verseucht ist. Außerdem nimmt das Öl dieser Nahrungsgrundlage den Sauerstoff, den es zum Wachstum braucht. Auch die Wanderrouten von Walen befinden sich in dem betroffenen Gebiet. Aber nicht nur die Nahrungssuche ist problematisch. Die Tiere sind auch direkt bedroht: Gift dringt in ihre Lungen und Eingeweide ein, sie werden innerlich verätzt. Die von BP eingesetzten Chemikalien verstärken diese Giftwirkung noch und fördern die Verteilung des Erdöls in größere Tiefen. Dort kann es kaum noch von Schiffen abgefangen werden.
Welche dieser Tierarten sind besonders bedroht von der Ölpest?
Am Meeresboden diverse laichende Fischarten. An den Küsten sind vor allem Vögel gefährdet, die im verölten Schlamm picken. 400 bis 600 Arten im Golf von Mexiko sind signifikant betroffen. Eine Art der Meeresschildkröten und der Blauflossenthunfisch sind sogar vom Aussterben bedroht.
Wie ist derzeit die Situation an den Küsten?
Die Säuberung der Sandstrände ist noch das geringste Problem. Schlimm ist es für die Mangrovenwälder, Weichböden und Sumpfgebiete im Mississippi-Delta und in Florida. Erfahrungswerte zeigen, dass sich diese Lebensräume, wenn überhaupt, erst nach zehn Jahren erholen, das heißt, das Öl wird erst dann abgebaut.
Woran liegt das?
Das Öl wird durch die Kleinlebewesen immer tiefer in die Weichböden gearbeitet. Dort kann es kaum mehr abgebaut werden, weil kein Sauerstoff vorhanden ist. Die giftigen Stoffe lagern dann im Meeresboden.
Wird das Öl aus dem Golf in den Atlantik fließen?
Das hängt davon ab, ob das Bohrloch wirklich gestopft wurde oder doch noch Öl nachfließt. Schlimmstenfalls könnte dann sogar eine Verseuchung des Sargassomeeres östlich von Florida auftreten, das Laichgebiet der Aale.
Was halten Sie von Maßnahmen wie der Entölung von Vögeln?
Damit hat man keine guten Erfahrungen gemacht. Meistens sind die Vögel durch ihren Putztrieb innerlich schon vergiftet, es macht also nur bei sehr bedrohten kleinen Beständen Sinn. Stattdessen wäre es besser, das Öl erst gar nicht bis an die Küsten kommen zu lassen und es vorher abzufangen.
INTERVIEW: INES BURCKHARDT