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■ Die Farce um den Mafiakiller Brusca zeigt: Die italienische Kronzeugenregelung muß geändert werdenFreiheit für Massenmörder?

Italiens „Kronzeugen“-Regelung, weltweit wegen der Erfolge im Kampf gegen die Mafia hoch gelobt, ist derzeit drauf und dran, sich selbst ad absurdum zu führen. Seit der Chef aller Cosa-Nostra- Clans Siziliens, Giovanni Brusca, die Seiten gewechselt hat, ist folgende Situation möglich: Brusca gesteht all seine bekannten und unbekannten Morde und seine Auftragserteilungen dazu, erhellt die Rolle seiner nachgeordneten Kollegen im Mafia-Leitorgan „Cupola“ und klärt die Taten unzähliger Killer und Handlanger. Diese werden zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt – nur Brusca kommt frei. Er, der mehr als hundert Morde persönlich begangen und ein Mehrfaches davon angeordnet haben soll, hat das Privileg des „Alleswissens“. Und sobald er ein Verbrechen und die darin vorkommenden Täter genannt hat, ist für diese ihrerseits der Weg zur „Kollaboration mit der Justiz“ versperrt. Strafnachlaß bekommt nämlich nur, wer bisher unbekannte Taten berichtet, zur Verurteilung der Täter beiträgt oder neue Straftaten verhindert.

Die Ermittler haben genau diese Situation befürchtet. Bisher galt, daß der „harte Kern“ ohnehin nicht auspackt. Tatsächlich gibt es, bisher zumindest, kaum Anzeichen, daß Bruscas 1993 verhafteter Vorgänger Toto Riina oder dessen Vorgänger Michele Greco aussagen werden. Doch der Fall Giovanni Brusca kann könnte exemplarisch wirken. So sehen manche Mafia-Experten bald auch den „harten Kern“ aussagebereit: als Strategie, der Öffentlichkeit eine totale Niederlage der Cosa Nostra weiszumachen, um sich danach ungestört im Untergrund reorganisieren zu können. Schon in den 60er und Anfang der 80er Jahre hatte die Lancierung einer „Auflösung“ der Banden ausgereicht, um die Verfolgung der Mafia zu reduzieren – mit dem Erfolg, daß diese bald mächtiger denn je war.

Doch Brusca ist auch noch in anderer Hinsicht ein besonderer Fall. Anfangs, in den ersten Monaten seiner „Geständigkeit“, war sein Ziel, andere Kronzeugen zu diskreditieren. Durch Preisgabe einiger eher unbedeutender Details aus Mafia-Händeln suchte er das Vertrauen der Staatsanwälte zu gewinnen, dann probierte er langsam, die „Umleitung“. Sachte modifizierte er die Aussagen der bisherigen Kronzeugen und brachte ihre Version nicht selten in ein schiefes Licht. Nach drei Monaten versuchte er jenen Coup, dessentwillen er seinen „Ausstieg“ vorgespielt hatte. Hohe Vertreter staatlicher Institutionen (später präzisierte er: der damalige Chef der Antimafia-Kommission und nunmehrige Parlamentspräsident Luciano Violante) habe ihm und anderen Mafiosi Straffreiheit angeboten, wenn sie den siebenmaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti mafioser Bandenbildung anschuldigen würden. Zwei Fliegen mit einer Klappe: Andreotti, der aufgrund der Aussagen anderer Kronzeugen in höchsten Schwierigkeiten steckt, bekam wieder Oberwasser, gleichzeitig wurde Violante, ein unerbittlicher Antimafia-Kämpfer, diskreditiert.

Angesichts dieser Manipulationsmöglichkeit scheint die italienische Kronzeugenregelung, die auch in Deutschland seit langem gefordert wird, nichts zu taugen. Doch paradoxerweise zeigt sich gerade hier auch eine positive „Kehrseite“. Denn im Laufe der seit zehn Jahre geltenden Kronzeugenregelung haben sich fähige Ermittler und auch kenntnisreiche, fähige kritische Geister innerhalb der Staatsanwaltschaften herausgebildet, die ein umfangreiches Instrumentarium zur Überprüfung von Aussagen der Seitenwechsler erarbeitet haben. Schon der 1992 ermordete Chefermittler Giovanni Falcone hatte Ende der 80er Jahre „gefälschte“ Kronzeugen auch dann enttarnt, wenn deren Aussagen eigentlich ganz gut in das Bild paßten, das er selbst sich von bestimmten Tätern gemacht hatte. Einen Boß, der den Andreotti-Intimus Salvo Lima als geschworenen Mafioso bezeichnet hatte, sperrte er kurzerhand wegen Verleumdung ein – zwar war Lima wohl wirklich das Bindeglied zwischen der Mafia und Andreotti, der „Kronzeuge“ aber kam mit gefälschten Beweisen daher. Sie wären spätestens beim Prozeß spektakulär aufgeflogen, Falcone hätte sein Gesicht verloren. Seine Nachfolger, vor allem die Antimafia- Stelle um den Oberstaatsanwalt Giancarlo Caselli, sind nicht weniger umsichtig. So wurde der von Brusca gelegte Sprengsatz „Andreotti-Komplott“ innerhalb von nur sechs Stunden Verhör entschärft – Brusca zog die Aussage zurück. Nun haben die Ermittler den Eindruck, der Mann denke tatsächlich über einen „ehrlichen“ Ausstieg nach. Allerdings haben es die Ermittler mit Brusca wohl auch nicht allzu schwer gehabt. Der Mann ist zwar ein erbarmungsloser Killer (den 12jährigen Sohn eines Kronzeugen hielt er monatelang unterirdisch gefangen, strangulierte ihn dann vor einer Fernsehkamera, warf den Körper in eine Säurewanne und schicke die Aufnahme den Eltern zu), doch nicht allzu clever. Andere, wie Toto Riina, der als „raffinierter Geist“ (Falcone) auffiel, wären nicht so leicht zu knacken.

Daß in Italien die Diskussion um die Kronzeugenregelung nun mit Nachdruck neu beginnt, ist sicherlich positiv. Befördert wird dies durch die böse Erkenntnis, daß Aussteiger trotz rückhaltloser Aufklärung danach keineswegs automatisch zu Engeln werden. 23 der 1.200 Kronzeugen wurden bereits wieder bei Straftaten ertappt, und es besteht der Verdacht, die in den letzten beiden Jahren in Catania geschehenen Morde an Frauen hochrangiger Mafiosi seien Taten von Aussteigern, die sich an ihren vormaligen Bossen rächen.

Justizminister Gianni Maria Flick möchte jedenfalls künftig zwei Dinge, bisher vereint, entschieden voneinander trennen: das Zeugenschutzprogramm von den Benefizien der Aussagen. Brusca und seine Familie werden derzeit zwar von der Polizei mit höchster Alarmstufe geschützt. Doch Versprechen auf Straffreiheit wird man ihm wohl so schnell nicht geben. In der Hoffnung, daß eine Gesetzesänderung die inzwischen allzu großen Rabatte nun doch wieder zurücknimmt. Das wäre keine Bankrotterklärung der Kronzeugenregelungen, wohl aber ein Zurechtrücken, das dringend nötig ist. Werner Raith

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