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■ Die FDP ist für viele Wähler attraktiver als ihr Ruf. Deshalb wird die Partei der „sozialen Kälte“ im Herbst erneut in den Bundestag einziehenVorgegaukelte Bedeutungslosigkeit

Folgt man vielen Journalisten und sogar FDP-Spitzenkräften, werden die Liberalen bei der Bundestagswahl an der Fünfprozenthürde scheitern. Es wird suggeriert, die Partei sei überflüssig und habe sich überlebt. Ihre Anhängerschaft wird fast durchweg auf vier Prozent geschätzt. Jürgen Möllemann bedauert öffentlich, daß der FDP „auf keinem Feld mehr wirkliche Kompetenz“ zugemessen wird. 69 Prozent der FDP-Mitglieder beklagen die thematische Verengung der Partei. Und eine ungenannte FDP-Spitzenkraft äußerte, die FDP sei in der Opposition besser aufgehoben.

Wer das als ermutigende Zeichen interpretiert, die Partei der „Umfaller“, „der Leihstimmen“ und der „sozialen Kälte“ werde bald in der Versenkung verschwinden, hat sich getäuscht. Die Bemühungen, die FDP aus dem Bundestag zu reden und zu schreiben, um die Bahn für ein rot-grünes Regierungsbündnis frei zu machen, werden vergebens sein. Und zwar zu Recht, wenn der Maßstab gilt, daß eine Partei die Interessen einer demokratisch gesinnten Klientel besser als andere vertritt.

Die FDP wird durch ihr neues Image zunehmend für Mittelständler, Selbständige, Gutverdienende, Vermögende und Individualisten interessant, die sich von den großen, dem sozialen Ausgleich verpflichteten Volksparteien nicht ausreichend vertreten fühlen. Während noch viele davon überzeugt sind, die FDP sei vollauf damit beschäftigt, sich als Kanzlerwahlverein über die Fünfprozenthürde zu hieven, bringt Generalsekretär Guido Westerwelle seine Partei auf einen Kurs, mit dem mittelfristig über zehn Prozent nicht ausgeschlossen sind. Und anders als vor vier Jahren gibt es diesmal Gründe, die FDP um ihrer selbst willen zu wählen.

Westerwelles FDP ist für all jene attraktiv, die es leid sind, hohe Steuern und Abgaben zu zahlen, die den Staat als teuren Versager sehen, die nicht länger die Kohlekumpels subventionieren, die Beamten versorgen und die Renten der Alten finanzieren wollen; also für die, die ihr sauer verdientes Geld möglichst für sich selbst ausgeben wollen. Diese Wählerklientel läßt sich von polarisierenden Sprüchen wie „Wir wollen die Fleißigen, nicht die Faulen, die Einsteiger, nicht die Aussteiger“ faszinieren. Sie hält sich für etwas Besseres, steht dazu und will dafür gelobt werden. Indem die FDP sagt: „Die neue Grenze verläuft zwischen freiheitlich und autoritär“, wird sie für alle, die das Rechts-links- Lager-Denken satt haben, interessant. Die FDP erreicht die Bürger, die es schick finden, den Abbau von sozialen Leistungen als „neue Freiheit“ und „Förderung von Verantwortungsbewußtsein“ zu deklarieren.

Statt sich mit den Polarisierungen der FDP auseinanderzusetzen und zu fragen, ob sie mit einer Entwicklung in der Bevölkerung korrespondieren, wird die FDP mit dem Schlagwort der „Steuersenkungspartei“ abgetan. Die meisten Medien zitieren ausschließlich die Emnid-Untersuchung, wonach die FDP in der Wählergunst bei vier Prozent liegt. Das Allensbach- Institut, das auch nach den Zweitstimmen fragt, sieht die FDP dagegen bei sechs Prozent.

Die Ansicht, die FDP verenge ihr Profil, basiert auf der Beobachtung, daß die Partei ihre Rolle als Bürgerrechtspartei aufgibt und damit ihre Bedeutung als liberales Korrektiv zur Union verliert. Doch Themen wie das Ausländerrecht und der Große Lauschangriff sind nicht wahlentscheidend. Befreit vom „Ballast der Bürgerrechtsfragen“, kann die FDP ihre marktfreiheitliche Karte um so pointierter ausspielen und damit neue Wähler gewinnen.

Unterstützt wird dieser Kurs durch den Bericht der Kommission für Zukunftsfragen unter Federführung der Ministerpräsidenten Biedenkopf (CDU) und Stoiber (CSU). Die Studie liest sich wie das Programm der FDP. So heißt es: „Der Staat soll die Rahmenbedingungen so umgestalten, daß individuelle Initiative und Verantwortung gefördert werden.“ Als Zukunft des Landes werden Menschen angesehen, die „willens sind, in höherem Maße als bisher für sich und andere Verantwortung zu übernehmen“. Wer, wenn nicht die FDP, die auf keinen sozialpolitischen Flügel Rücksicht nehmen muß, kann sich darauf am unbeschwertesten konzentrieren?

Häufig scheint es so, als ob die Politik der FDP an der Mehrheitsmeinung gemessen würde. Dabei braucht sie nur fünf Prozent plus x. Dennoch hat sie auch bei größeren Wählerkreisen Anerkennung gefunden. Die FDP wurde heftig dafür gescholten, daß sie eine Reduzierung der 610-Mark-Jobs blockiert hat. Einer Emnid-Umfrage zufolge befürworten allerdings 55 Prozent der Bevölkerung die Beibehaltung der 610-Mark-Jobs. DIHT-Präsident Hans Peter Stihl urteilte über die Blockade der FDP zufrieden: „Das haben wir von der FDP nicht anders erwartet.“ Der DIHT steht für rund drei Millionen Unternehmer.

Daß die FDP eine Minimallösung bei der Steuerreform blockiert hat, gefällt ebenfalls mehr Bürgern, als es ihre Gegner wahrhaben wollen. Selbständige, Arbeitgeber, Vermögende wissen, wem sie es zu verdanken haben, daß Steuerschlupflöcher in Höhe von 29 Milliarden Mark nicht geschlossen werden. Noch mehr Bürger begrüßen die Senkung des Solidaritätszuschlags, mit der sich die kleine FDP gegen die großen Volksparteien durchgesetzt hat. Durch die geplante Mehrwertsteuererhöhung wird die Einsparung zwar so gut wie aufgefressen – aber das merkt nicht jeder.

Als einzige Partei setzt sich die FDP für eine Senkung der Pflegeversicherungsbeiträge ein und damit konsequent für die Senkung der Lohnnebenkosten, die angeblich auch die großen Parteien für unumgänglich halten. Auch die Liberalisierung der Ladenschlußzeiten kann die FDP als Erfolg für sich verbuchen. Das alles mag einem passen oder nicht, widerlegt aber die Behauptung, die FDP sei profillos und für mehr als 95 Prozent der Bevölkerung überflüssig.

Für die „Gutmenschen“ unter ihrer Klientel hat die FDP sogar ein soziales, identitätsstiftendes Bonbon parat. Bürgerrechte werden durch Bürgersinn ersetzt. Der Bürgersinn, also die Bereitschaft zu sozialem Engagement, ist laut FDP durch „die Überforderung des Staates“ verlorengegangen. „Verantworung wurde verstaatlicht. Der damit verbundene Verlust von persönlichem Verantwortungsgefühl kostet immer mehr mitmenschliche Zuwendung.“ Auf diese Weise wird der Abbau von sozialen Leistungen zur guten Tat erklärt. Auch dem wird nicht jeder folgen können. Aber es wird genug Wähler geben, die es glauben wollen. Markus Franz

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