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Die Erfindung der SchälmaschineDer Traum vom Pulautomaten

Alwin Kocken hat sein Leben mit Krabben verbracht. Erst als Fischer, dann als Ingenieur. Er hat erfunden, wovon viele träumen: eine Maschine, die Krabben schält. Dennoch verdient er keinen Cent damit

Hat die meiste Zeit seines Lebens mit Krabben zugebracht: Alwin Kocken. Bild: DPA

HAMBURG taz | Einen Großteil seines Leben hat Alwin Kocken mit Nordseegarnelen verbracht – wie die typischen (Nordsee-)Krabben eigentlich heißen. Der 74-Jährige ist 25 Jahre als Fischer zur See gefahren, seit 15 Jahren leitet er einen Krabbenschälbetrieb an der Wurster Nordseeküste nördlich von Bremerhaven. Die Krabben sind sein Leben: Kockens Frau ist vor über 20 Jahren gestorben, auch sein Sohn Siegfried ist tot. Seine drei Töchter studieren. Mit Fischerei und Krabben hat keine was zu tun.

Zusammen mit seinem Sohn hat Alwin Kocken eine Krabbenschälmaschine erfunden, 25 Jahre ist das mittlerweile her. „Den Schälmechanismus hatten wir schon nach ein paar Jahren“, sagt Kocken, er spricht Platt wie alle hier. Das Komplizierte war der Mechanismus, der die Krabben in die Maschine bringt. Über 20 Jahre dauerte es, bis Kocken herausfand, wie es geht: Die Krabben fahren jetzt mit einem Laufband hoch, werden voneinander getrennt und fallen in eine Halterung, die sie mit eine Vakuum festhält. Dann wird die Krabbe mit einem Messer aufgeschnitten und mit Druckluft aus ihrem Panzer gepustet.

Anders als große Garnelen müssen die kleinen Nordseegarnelen direkt nach dem Fang gekocht werden, weil sie sonst sehr schnell verderben. Doch durch das heiße Wasser verbiegen sie sich und werden rundlich – für die Maschinen eine Herausforderung. „Gut gekochte Krabben sind das A und O“, sagt Kocken. Wenn die Krabben zu weich sind, ist das für die Maschine ein Problem, und sie produziert noch mehr Ausschuss als sonst.

Eigentlich dachte Kocken, mit seiner Maschine den großen Wurf gemacht zu haben. Früher hatte er Frauen aus dem Ort beschäftigt, die die Krabben pulten. Bis Anfang der 1990er-Jahre machten sie das zu Hause, als Zeitvertreib und Zubrot. Dann kamen neue Hygieneverordnungen, die Krabben mussten in speziellen Hallen geschält werden. Bis zu 150 Frauen arbeiteten für Kocken, sie bekamen fünf bis sechs Euro pro Stunde.

In Marokko ist's billiger

So eine Krabbenschälmaschine dagegen ist eine einmalige Anschaffung und müsste eigentlich billiger kommen, dachte Kocken. Doch durch die Öffnung der Ost-Grenzen war es plötzlich günstiger, die Krabben in Polen zu pulen. Heute werden sie nach Marokko geschafft. Dort bekommen die Frauen nur 50 Cent pro Stunde, das macht die Krabben inklusive aller Transportkosten billiger, als es maschinengeschälte je sein können: Etwa 20 Euro kostet derzeit ein Kilo Krabben aus Marokko, 40 Euro ein Kilo aus Kockens Maschine.

Effizienter ist das Pulen von Hand auf jeden Fall: 500 Gramm Fleisch holt eine Arbeiterin aus einem Kilo Krabben heraus, die Maschine schafft nur 300 – der Rest ist Schalenabfall, aber auch Ausschuss. Auf Shrimps oder größere Garnelen lässt sich die Maschine leider nicht umrüsten: Die größeren, roten Eismeergarnelen werden ganz anders geschält, sie müssen den Prozess zweimal durchlaufen, denn die Schale ist viel weicher und vielschichtiger.

Nur zwei Stück verkauft

Als Kocken seine Maschine entwickelt hatte, konnte er nur zwei Exemplare verkaufen, sieben weitere waren bestellt, wurden aber wieder storniert. Auch Kocken bezieht einen Großteil seiner Krabben aus Marokko. Sie werden bei ihm getrennt von den anderen verpackt: In die roten Tüten kommen die Reimporte, in die blauen die maschinell geschälten. Die werden vor allem von Restaurants gekauft.

Vor fünf Jahren hat der Geschäftsmann Gregor Kucharewicz aus Bremerhaven noch einmal einen Anlauf unternommen. In Cuxhaven, nicht weit von der Wurster Nordseeküste entfernt, eröffnete er ein „Krabbenschälzentrum“. Acht Tonnen Fleisch sollten täglich geschält, 70 Arbeitsplätze geschaffen werden. Zum Vergleich: Kockens Maschine schafft 50 bis 60 Kilo pro Stunde.

Nur wenige Monate nach dem Start stand das Cuxhavener Krabbenschälzentrum vor dem Aus. Das Unternehmen stellte einen Insolvenzantrag, kurz danach waren die Maschinen verschwunden – genauso wie der Geschäftsführer Gregor Kucharewicz.

Das Krabbenschälzentrum lief nie wirklich gut: Eigentlich sollte es den Betrieb schon 2009 aufnehmen, doch der Start hatte sich immer weiter verzögert. Angeblich hat es Probleme mit den Zulieferern der Maschinen gegeben. Erst seit Juli 2010 pulten drei Maschinen die Krabben, bis Ende 2011 sollten es 24 sein. Die Löhne lagen bei 8,50 Euro, 30 Prozent unter Tarif. Laut Kucharewicz hatten die Gesellschafter 3,8 Millionen Euro in das Schälzentrum investiert, 760.000 Euro wurden von der Europäischen Union subventioniert.

Lieber billig als frisch

In Cuxhaven habe wohl auch viel Wunschdenken eine Rolle gespielt, meint Kocken. Dabei hätten maschinell geschälte Nordseekrabben einen entscheidenden Vorteil: Sie wären frisch. Die Krabben, die in Marokko oder Polen gepult werden, müssen noch eine beachtliche Strecke zurücklegen. Würden sie dagegen in Norddeutschland weiterverarbeitet, könnten die Krabben in wenigen Tagen in den Supermärkten sein.

So aber liegen Wochen zwischen Fang und Verzehr, und die Krabben müssen gefroren werden. Oft werden sie sogar monatelang eingelagert, etwa im Herbst und Frühling, wenn es zu viele gibt. Das macht sie matschig, weil die Zellstruktur durch das Eis zerstört wird.

Nicht überfischt

Überfischt sind die Krabbenbestände im Wattgebiet der Nordsee aber nicht: Nur rund ein Achtel wird von den Fischern aus dem Meer gezogen, der Rest wird von Fischen wie Kabeljau oder Wittling, aber auch Seehunden und Enten gefressen.

Viele Restaurants und Krabben-Verpackungsbetriebe werben mit der Aufschrift „maschinell geschält“. Kocken macht das wütend. Es sei schlichter Betrug, schimpft er: Die Krabben können gar nicht maschinell in Deutschland geschält sein, das würde den Preis merklich steigen lassen und aus Krabben eine Delikatesse machen – zumindest preislich.

Wie das Beispiel Cuxhaven zeigt, haben Krabben die industrielle Revolution irgendwie übersprungen. Sie sind gleich den Weg der Globalisierung gegangen. Nur bei Kocken nicht ganz – seine Maschine schält fleißig weiter, an der Wurster Nordseeküste.

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