■ Die Erbsenpistole oder: Vom Langzeitgedächtnis der Möwen: Der Iberer und der Biomüll
An sich ist der Hispanier ja nicht gerade ein Vorbild in puncto ökologisch-korrekter Abfallentsorgung. Ohne daß der Gewissenswurm zu nagen beginnt, feuert er leere Plastikflaschen aus dem fahrenden Zug in die ohnedies karge Botanik, und wenn er in einem Olivenhain gepicknickt hat, sieht es hinterher aus wie in der Lagerhalle eines Recyclingzentrums. „Hörst du denn nicht das Ächzen von Mutter Natur?“ fragt man ihn mit dem väterlichen Ton des Urwaldmissionars. Er aber hört nichts und kuckt einen an wie ein Oberarzt in der psychiatrischen Ambulanz.
Insofern überrascht es mich nicht im geringsten, als Don Felipe – der Vermieter unseres Apartments – uns anhält, alle organischen Reste der täglichen Nahrungszubereitung auf eine Düne hinter dem Haus zu werfen. Natürlich male ich mir sofort ein meterhohes Mistkäfer-Schlaraffia aus, in dem – umweht von einem infernalischen Gestank – fahle Maden und andere Ekelgeschöpfe eine Dauerparty feiern.
„Keine Angst“, sagt allerdings Don Felipe, als habe er mir die unappetitliche Phantasie von den Augen abgelesen. Dann öffnet er den Rolladen vor dem Fenster, und tatsächlich blicken wir nicht auf einen blasenwerfenden Haufen gärender Urmasse, sondern auf des Schöpfers Biomüll-Entsorgungs-Elitetruppe, nämlich: ein Rudel Seemöwen, die hier ungeduldig auf den nächsten Abfuhrtermin warten.
Da ich indessen an der Küste aufgewachsen bin, ist mein Verhältnis zu Möwen nur unwesentlich besser als zu Mistkäfern und anderen Kompostbewohnern. Bereits im Knirpsenalter wurde mir beigebogen, daß der Lebenszweck dieser Mistviecher allein darin besteht, uns braven Fischersleuten die Netze leer zu fressen, und deshalb verbrachte ich meine halbe Kindheit damit, ihnen mit Schüssen aus meiner Erbsenpistole zu Leibe zu rücken. Die Liebste hingegen ist als uneingeschränkte Freundin der Fauna natürlich sofort ganz begeistert von den herzallerliebsten Getümen. Penibel wacht sie darüber, daß keine Käserinde und kein vertrockneter Brötchenrest ungenutzt im Mülleimer verschwindet, und selbstverständlich redet sie zwei Stunden nicht mehr mit mir, als sie mich dabei erwischt, wie ich einen alten Kaugummi unter das Möwenfrühstück zu mischen versuche.
Wie freilich nicht anders zu erwarten, beläßt es die Mutter der Möwen nicht allzu lange bei der puren Resteverwertung. Schon bald werde ich dazu aufgefordert, für unsere Freunde eine Extraportion Nudeln mit zu kochen, und gerne macht die Liebste ihnen die Mahlzeit mit ein paar Scheiben von der sündhaft teuren Salami schmackhaft. Auch bringt sie es durchaus fertig, nach einem Abendessen im Restaurant Muschelschalen und Fischköpfe von unseren Tellern zu klauben – das Möwenfutterpäckchen jedoch über Nacht in ihrer Jackentasche zu vergessen.
So werden wir am nächsten Morgen dann doch einmal vom Odeur einer gärenden Modergrube geweckt, und als dann ich im Sauseschritt und mit einer Wäscheklammer auf der Nase zur Düne hinüberstürme, um die pestilenzialisch stinkende Biomasse zu entsorgen, da lassen sich die Biester die Gelegenheit natürlich nicht entgehen, mir alle Erbsenpistolensalven meiner Kindheit mit einem Bombardement zu vergelten, dessen Geschosse ganz ohne Zweifel aus meinen Vortagsnudeln hergestellt wurden.
Nichtsdestoweniger bin auch ich dafür, im nächsten Jahr noch einmal hinter der Möwendüne Urlaub zu machen. Denn wir Küstensöhne kapitulieren nicht nach einer verlorenen Schlacht, und sicherlich werde ich irgendeinen Weg finden, Großvaters abgesägte Schrotflinte durch die Flugsicherheitskontrolle zu schmuggeln. Joachim Schulz
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