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Archiv-Artikel

„Die Einigung hätte man früher haben können“

Auch wenn es nicht mehr viele Kumpel gibt: Auf das Ruhrgebiet kommen harte Zeiten zu, sagt der Sozialhistoriker Klaus Tenfelde

taz: Herr Tenfelde, der Steinkohlebergbau im Ruhrgebiet ist bald Geschichte. Eine schwarze Stunde für das Revier?

Klaus Tenfelde: Es hat sich angedeutet. Allerdings hätte man die Einigung früher haben können. In den vergangenen drei Monaten ging es nur noch darum, die Claims für die jeweilige Klientel abzustecken. Franz Müntefering wollte vor allem die Sozialdemokraten im Ruhrgebiet zufriedenstellen. Innerlich hatte er sich bereits vom Bergbau verabschiedet.

Muss Müntefering jetzt den Zorn der Genossen fürchten?

Nein. Dadurch, dass der Ausstieg erst 2018 kommen wird, gibt es keine betriebsbedingten Kündigungen. Außerdem soll 2012 noch einmal verhandelt werden, ob es doch noch einen Kohlesockel geben wird.

Glauben Sie wirklich daran?

Der Weltmarkt ist unberechenbar. Die Preise für Kokskohle haben sich zuletzt verdreifacht. Es ist sinnvoll, mindestens zwei Zechen als Energiereserve offen zu lassen. Wenn die letzte Zeche schließt, dauert es zehn Jahre, den Bergbau wieder zu beleben. Ich möchte es nicht erleben, wenn bei uns die Menschen im Winter ohne Heizung dastehen.

Bis dahin bleibt die Empörung der Menschen aus?

Ich hoffe es. Früher hatten wir immer harte Debatten, wenn Entscheidungen anstanden. 1997 musste der damalige IG-Bergbau-Chef Hans Berger nach den Kohleverhandlungen ein paar Bergleute persönlich davon abhalten, das Bundeskanzleramt zu stürmen.

Und heute?

Der Rückhalt der Bergleute im Ruhrgebiet ist geringer geworden, der familiäre Background ist nicht mehr vorhanden. Es gibt ja nur noch gut 30.000 Kumpel.

Der Mythos Bergbau hatte auch Schattenseiten. Unter Tage gab es Tote, Anwohner leiden unter den Folgen …

Bergmann ist längst nicht mehr der schmutzige, gefährliche Knochenjob. Natürlich müssen wir mit den Bergsenkungen leben. Die Zeche Walsum in Duisburg wird 2008 auch deshalb geschlossen, weil der Abbau unter dem Rhein umstritten ist. Die klagenden Anwohner schauen eher auf ihre Häuser als darauf, ob es ein paar tausend Arbeitsplätze weniger gibt. Früher hieß es dagegen: „Erst stirbt die Zeche, dann die Stadt.“ Wenn etwa das Bergwerk West in Kamp-Lintfort geschlossen wird, werden 4.000 Arbeitsplätze abgebaut. Nach der Insolvenz des Handyherstellers BenQ ist dies der zweite schwere Schlag für die Stadt. Es wird 20 Jahre dauern, bis sie sich davon erholen wird.

Zumindest der Börsengang des RAG-Konzerns scheint durch den Kompromiss gesichert. Könnte das Ruhrgebiet davon profitieren?

Strukturpolitisch ist es wichtig, dass sich neben ThyssenKrupp ein zweiter DAX-Konzern im Ruhrgebiet ansiedelt. Vor allem das kulturelle Engagement der RAG, auch im Hinblick auf die Kulturhauptstadt 2010, ist gar nicht hoch genug anzusiedeln.

Statt Bergbaukultur macht sich dann Hochkultur im Ruhrgebiet breit?

Ganz so hart möchte ich es nicht ausdrücken. Ich will hoffen, dass die Breitenkultur nicht zu kurz kommt – auch mit Rücksicht auf die Geschichte des Ruhrgebiets und seiner Bevölkerung.

INTERVIEW: HOLGER PAULER