: Die „Einheit leben“ à la CDU
Die Union vor ihrem Dresdner Parteitag: Über die Vergangenheit der Ost-Blockpartei wird der Mantel des Vergessens gebreitet/ Imagepflege statt eines schlüssigen Programms/ Die Mitglieder laufen der Partei davon ■ Von Tissy Bruns
Bonn (taz) — Im Westen nichts Neues, im Osten zuviel Altes. Die CDU, die ab Sonntag auf ihrem Dresdner Parteitag „die Einheit leben“ will, hat gegenwärtig schlechte Kritiken. Im Schatten des übermächtigen Kanzlers und Parteivorsitzenden Helmut Kohl gedeiht keine neue Idee und kein Personal. Dabei hätte die Partei es nach fast zehnjähriger Regierungszeit dringend nötig. 1990 siegte die Union bei der Volkskammerwahl, gewann vier der fünf neuen Landtage und die erste gesamtdeutsche Wahl. Aber auf den triumphalen Durchmarsch folgte der Alltag des Jahres 1991: die Ost- CDU, die sich die West-Union nach der Wende so entschlossen einverleibt hat, um die Macht zu sichern, kann sich ihrer Vergangenheit doch nicht entziehen. Ihr laufen die Leute davon, weil in ihren Reihen haufenweise kompromittierte Blockflöten sitzen.
Wenn die CDU in Dresden trotzdem eine gelungene Darbietung gelebter Einheit liefern wird, dann nicht nur deshalb, weil Generalsekretär Volker Rühe die Kunst beherrscht, auch sperrige Sachen rund zu schleifen. Für das „Dresdner Manifest“, eine Art vorläufige Standortbestimmung der gesamtdeutschen Union, bis 1994 das richtige Parteiprogramm verabschiedet wird, wurde eine Antragsarbeit geleistet, die jeden Konflikt aufhebt, ohne ihn zu klären. Ist Deutschland kein Einwanderungsland, wie der ursprüngliche Bundesvorstandsantrag behauptet hat, oder ist es doch eines, wie aus Sachsen angemeldet wurde? Zu der immerhin brisanten Frage befindet die Antragskommission: „Deutschland ist ein weltoffenes Land. Wir wissen, daß in Zukunft nicht weniger, sondern mehr Ausländer nach Deutschland kommen und mehr Deutsche ins Ausland gehen werden... Diese Entwicklung muß politisch so gestaltet werden, daß sie den Interessen und Bedürfnissen unseres Landes entspricht.“ Ähnlich salomonisch handelt das Unionspapier auch die Vergangenheit ab. Während unter Ziffer 18 noch recht klar gesagt wird: „Alte Seilschaften dürfen in Betrieben, Verwaltungen und öffenlichen Einrichtungen nicht leitend tätig sein“, wird Ziffer 19, die sich mit der CDU beschäftigt, vage: „Wir bitten alle, die in Gesellschaft und Politik ein Amt bekleiden, ihr Verhalten in der Vergangenheit selbstkritisch zu überprüfen. Auch wer keinen Anlaß sieht, sich persönlich etwas vorzuwerfen, muß sich doch die Frage stellen, ob seine frühere Tätigkeit in Beruf, Gesellschaft und Politik es seinen Mitbürgern und Parteifreunden heute schwer macht, neues Vertrauen zu gewinnen.“ Diese Art Harmlosigkeit ist schon dreist: immerhin stolpert im Umfeld der Dresdner Veranstaltung gerade ein weiterer CDU-Ministerpräsident über seine Vergangenheit, nämlich der Thüringer Josef Duchac, schwankt Günther Krause, der Verkehrsminister aus dem Osten. Und Frauenministerin Angela Merkel wird nur deshalb zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt, weil Lothar de Maiziére der Falsche war.
Wer kann noch auf Anhieb sagen, wie lange der Fall von Lothar de Maiziére zurückliegt? Ein gutes Vierteljahr erst und trotzdem ist der ehemalige Kohl-Vize fast vergessen. Erfahrungen wie diese lassen den Parteivorsitzenden und seinen Generalsekretär das Thema Vergangenheitsbewältigung möglicherweise gelassen sehen. Das unendlich schwierige Problem der übernommenen Blockpartei reduziert sich für die Führung der Union ohnehin zu einem unter vielen, die vor die „Vollendung der Einheit“ gestellt sind. Kohl, Rühe, auf andere Weise Kurt Biedenkopf in Sachsen und der neue brandenburgische Vorsitzende Ulf Fink wissen, daß die Schwierigkeit der Partei im Osten nicht monokausal erklärt werden kann. Die allgemeine Parteiverdrossenheit spüren auch andere als die Union. Und für das Tief der CDU wiegt die enttäuschte Hoffnung auf rasch verbesserte Lebensverhältnisse am schwersten.
Schließlich: Zeigt nicht der Fall de Maiziére, daß unterbliebene Vergangenheitsbewältigung genauso verdrängt werden kann wie die Vergangenheit selbst. Wer nicht mehr tragbar ist, der geht eben, wie die ehemaligen Landesvorsitzenden Gies in Sachsen-Anhalt und Reichenbach in Sachsen, wie eine mittlerweile stattliche Zahl von Landesministern und Fraktionsmitgliedern. Wenn es gelingt, daß sich die Hoffnungen in den neuen Bundesländern wieder auf die Union richten, dann reicht das für das Ansehen der CDU, auch wenn die Zahl der neuen Kräfte klein bleibt. Selbst Ereignisse wie die Wahlniederlagen von Angela Merkel und Rainer Eppelmann im Brandenburger Landesverband wären dann nur von begrenzter Wirkung.
In Dresden wird ein vor allem atmosphärischer Parteitag stattfinden: Die CDU als die gesamtdeutsche Partei schlechthin, die Partei, die teilen will und sich auf die neue Situation wirklich einläßt. Zelebrationen dieser Art geben wenig Aufschluß darüber, mit welcher Substanz diese Partei in die nächsten Jahre geht. Summieren sich die unbestreitbaren Probleme der CDU-West und die Mühsal im Osten zu allgemeiner Schwäche? Überlagern und überdecken sich die westlichen und östlichen Schwierigkeiten in der kommenden Zeit gegenseitig? Oder regeneriert sich die ausgelaugte Union durch die deutsche Einheit.
Für letzteres sprechen wenige, aber wichtige Anzeichen. Der Personaltransfer in die neuen Bundesländer hat für die Modernisierer Biedenkopf und Ulf Fink politischen Raum geschaffen, den sie im Westen verloren hatten. Was Helmut Kohl zum Nachteil der Partei im Westen durchgesetzt hat, wäre im neuen Gesamtdeutschland einfach sträflich: Köpfe, die regieren und leiten können, einfach in die Wüste zu schicken.
Die 1.000 Delegierten im Dresdner Kulturpalast — 750 davon aus dem Westen, 250 aus dem Osten — sollen fleißig diskutieren, und da das runde Ergebnis eigentlich schon feststeht, sind sicher auch kritische Farbtupfer erlaubt. Im Plenum und in sechs thematischen Foren wird das Manifest erörtert. Heikle Fragen der Regierungspolitik, bei denen Union oder Koalition uneins sind, gehören auf diesen Parteitag nicht. Anträge zur Reform des Paragraphen 218 oder zur Pflegeversicherung werden an den Bundesvorstand oder die Fraktion überwiesen.
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