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■ Die EU steht nach der deutschen Ratspräsidentschaft besser da. Auch weil der Krieg ansonsten schwerfällige Prozesse beschleunigteDie Frösche müssen beschlagen werden

Es sind nicht die besten Zeiten für Europa in Polen. Die Akzeptanz für die EU-Integration des Landes sank innerhalb von drei Jahren um über ein Viertel. Die größte Euro-Aversion hegen die polnischen Bauern, die heute mit subventionierten Agrarprodukten aus den EU-Ländern konkurrieren müssen, während der EU-Markt für sie reglementiert ist. „Das ist doch eine typische sozialistische Kommandowirtschaft, die die uns da aufzwingen“, hörte man unlängst von Bauern, die aus Protest Straßensperren errichteten.

Es ist aber nicht nur die Landwirtschaft, die die Polen wurmt. Das ostmitteleuropäische „Tigerbaby“, das sich Anfang der 90er Jahre mit einer Schocktherapie in ein neues wirtschaftliches Selbstbewußtsein hochkatapultierte, merkt inzwischen, daß die Wirtschaftskrisen in Rußland, in Asien und in Brasilien, samt der Stagnation in Westeuropa, an Polen doch nicht spurlos vorbeigegangen sind. Die polnische Wirtschaft ist, wider den traditionellen Sprachgebrauch in Deutschland, seit Jahren erfolgreich, doch auch sie muß ihre Daten nach unten korrigieren. Die Aufholjagd wird langsamer, die Distanz zu den reicheren Nachbarn kaum kürzer.

Der Grund für den polnischen „Europaschmerz“ ist nicht nur die Wirtschaft, sondern vor allem das gestörte Selbstwertgefühl. Seit zehn Jahren sind die Polen heftigen Wechselbädern ausgesetzt. Einerseits steigt das Selbstvertrauen und auch ihr Stolz auf das Erreichte, andererseits merkt man, daß man immer wieder in neue Fallgruben gerät und auf immer neue Hindernisse stößt. Zwar ist der Optimismuspegel nach wie vor relativ hoch, nur die Verunsicherung über die Grundlinien der polnischen Entwicklung scheint größer als bisher zu sein. Sie kam mit dem Krieg im Kosovo. Polen war gerade frisches Mitglied der Nato, als in Berlin über die zweiten Stellen nach dem Komma bei den Subventionen für die Milch- oder Rindfleischproduktion gehadert wurde und in Italien bereits die Bombermotoren warmliefen.

Es hätte kein anschaulicheres Beispiel dafür geben können, wo nun die historische Dynamik ist – bei der Nato oder der EU. Im Krieg verguckten sich die meisten Polen zuerst in die Amerikaner und übersahen fast die Rolle der Europäer. Sie waren auch viel stärker darauf konzentriert, ihre neuen Bündnispartner nicht zu enttäuschen, als öffentlich über eine mögliche aktive regionale Rolle Polens bei der Friedenserhaltung nach dem Krieg zu diskutieren. Die ergab sich von selbst, etwa als die Ukrainer zu verstehen gaben, daß sie gerne das gesamte ukrainisch-polnische Bataillon in das Kosovo schicken würden, um zu betonen, daß sie – anders als die Russen – sich daran gerne unter der Führung der Nato beteiligen möchten. Und schließlich meldeten sich auch polnische Politiker, Polen könne auch seine Erfahrungen mit der wirtschaftlichen und politischen Transformation für die Anbindung des Balkan an Europa zur Verfügung stellen. Es wäre falsch, darin eine polnische Hybris nach dem Motto „das Pferd wird beschlagen, aber ein Frosch streckt sein Bein hin“ zu sehen. Polen entdeckt allmählich Europa als eine faktische Entität im Werden. Bisher wurde die EU in Polen von nicht wenigen nur durch das Prisma möglicher (oder verweigerter) Geldzuflüsse und der „Gefahren“ für die nationale Identität infolge einer „Europäisierung des Landes“ gesehen. Nun stellt man mit einiger Verblüffung fest, sie bewegt sich doch, diese Europäische Union. Sie hat den Euro durchgesetzt, sie hat die „Agenda 2000“ – verwässert, aber immerhin – durchgedrückt, sie war politisch während des Kosovo-Krieges überaus aktiv, und sie hat sich in Köln einen künftigen Außenminister in Person des in Polen hochgeschätzten Javier Solana zugelegt. Dieses Europa ist also doch mehr als nur ein Selbstbedienungsladen.

Die Kampagne vor den Europawahlen, die die polnischen Medien relativ gut besprechen, scheint jedoch dieses optimistische Aha-Erlebnis nicht zu bestätigen: Geringes Interesse der EU-Wähler für Europa, Überbetonung der nationalen Belange bis hin zu dem arroganten sozialen Egoismus, den man aus Bayern hören kann, all das führt zu der grundsätzlichen Frage, ob das Europaparlament, trotz der Erweiterung seiner Kompetenzen durch den Amsterdamer Vertrag, trotz seiner spektakulären Erfolge etwa in Sachen der britischen „wahnsinnigen Rinder“ und des Rücktritts der EU-Kommission tatsächlich ein echtes Parlament oder nur wenig nützliches Parlatorium ist. Schließlich ist die Union nicht imstande, ihr größtes soziales Problem, die Arbeitslosigkeit, zu lösen. Jedes Mitgliedsland geht die Arbeitslosigkeit nach seinem eigenen Gusto an.

Ein vereintes soziales Europa ist in der Praxis noch nicht in Sicht. Trotzdem ist die Bilanz der deutschen EU-Präsidentschaft nicht schlecht. Die Europäische Union steht besser da, als sich im Januar abzeichnete. Einerseits liegt das ein wenig an der rot-grünen Regierung, deren Kanzler, Außen- und Verteidigungsminister eine gute Figur machten und sich die europäischen Sporen verdienten. Andererseits ist es ein Ergebnis der alten Regel, daß Kriege Prozesse beschleunigen, die sonst durch die Schwerfälligkeit des Bestehenden gebremst werden. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß die Lawine der Reformen in der EU erst richtig ins Rollen kommt, wenn man nicht nur nach Geldern für die Stabilisierung des Balkan, sondern auch nach institutionellen Absicherungen für die „Europäisierung“ dieser Region sucht.

Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß dann noch manches Goldene Kalb der Rabattzahlungen an relativ reiche EU-Länder geschlachtet oder manche in bayerischen oder burgundischen Äckern vergrabene Flasche mit Goldmünzen in Gestalt von Agrarsubventionen ausgebuddelt oder geköpft werden wird. Denn die bisherige Logik der gemeinsamen Agrarpolitik, die absurde „Jagden nach Subventionen“ ermöglicht und die die Ungleichheiten zwischen den Trittbrettfahrern der EU und dem „Klub der Reichen“ perpetuiert, muß viel radikaler reformiert werden, als es in der „Agenda 2000“ geschehen ist. Der Frieden nach dem Kosovo-Krieg erfordert einen phantasievollen „Generalplan Ost“, dessen Ziel eine harmonische Anbindung des ganzen Gürtels von Estland bis Bulgarien und Albanien an die Europäische Union sein muß. Es wäre fatal, wenn nun in Polen, Ungarn oder Tschechien der Eindruck entstünde, es gäbe so etwas wie eine Konkurrenz zwischen der EU-Osterweiterung und dem „Marshallplan“ für den Balkan. Beide Elemente sind Bestandteile derselben Ostpolitik der EU, und es wäre gut, wenn man Modelle fände, nach denen sich die ostmitteleuropäischen Staaten am Wiederaufbauwerk auf dem Balkan beteiligen könnten. Tatsächlich müssen auch unsere Frösche beschlagen werden.

Adam Krzeminski

Der Frieden nach dem Kosovo-Krieg erfordert einen „Generalplan Ost“

Polen entdeckt Europa langsam als faktische Entität im Werden

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