■ Die Düsseldorfer CDU-Landtagsabgeordnete Heidi Busch zu einer neuen Werte- und Erziehungsinitiative: „Aus Fehlern lernen“
Weil für sie die jüngste Diskussion über grundlegende Werte, über Erziehungsprobleme und Demokratieverdrossenheit zu oberflächlich, zu sehr entlang der parteipolitischen Frontlinie verlaufen ist, haben Düsseldorfer Landtagsabgeordnete aller Fraktionen auf Initiative der grünen Parlamentarierin Beate Scheffler Anfang November eine überparteiliche „Werteinitiative '93“ gestartet. Den InitiatorInnen geht es darum, „festgefahrene Geschäftsordnungen loszuwerden“ und Verständigungsmöglichkeiten über die „Grundlagen unseres Zusammenlebens“ im öffentlichen Streit zu markieren. Der Versuch, Diskussionsprozesse in einer „neuen politischen Farbmischung“ zu initiieren, stieß auf reges Interesse. Neben bekannten Publizisten (Konrad Adam – FAZ), Philosophen (Jürgen Habermas), Pädagogen (Klaus Hurrelmann), Politikern (Daniel Cohn-Bendit, Rita Süssmuth) und Historikern (Hans- Ulrich Wehler) haben auch verschiedene Unternehmer, so der Bertelsmann-Boß Reinhard Mohn, den Aufruf unterzeichnet.
taz: Frau Busch, Sie haben zusammen mit der Grünen-Abgeordneten Beate Scheffler eine „Werteinitiative“ gestartet, die für eine Erziehungsoffensive im Geiste der Aufklärung eintritt. Ihr Fraktionsvorsitzender Helmut Linssen hat aber erst jüngst die Erziehungsarbeit der in diesem Sinne agierenden 68er Generation als „systematische Zerstörungsarbeit an der Jugend“ gegeißelt. Sind Sie eine Dissidentin?
Heidi Busch: Nein! Bei der „Werteinitiative“ geht es uns nicht um die Fortführung alter Schlachten, sondern wir wollen ohne Schuldzuweisungen neues Nachdenken über Erziehung überparteilich initiieren. Wir gehen davon aus, daß weder autoritäre noch antiautoritäre Erziehung für sich allein den richtigen Weg weisen. Wir wollen Kinder zur Selbständigkeit erziehen und glauben, daß eine solche Erziehung nur gelingen kann, wenn den Kindern bewußt Grenzen gesetzt werden, auch durch Verbote. Wir wollen aber weder Untertanengeist noch pädagogische Beliebigkeit im Sinne eines Laissez-faire-Stils. Inhaltlich wird dieses Ziel von der CDU insgesamt nicht bestritten, und deshalb bin ich auch keine Dissidentin. Wenn von CDU-Politikern jetzt eine Rückbesinnung auf alte Werte gefordert wird, dann kann ich dem durchaus zustimmen, nur, diese Rückbesinnung auf Vergangenes allein reicht nicht.
Herr Linssen hat im Landtag gesagt, daß „die allgemeine Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen zum nicht geringen Teil ihre Ursachen, ihre Wurzeln im Gedankengut vieler Vertreter der sogenannten 68er Generation“ habe. Die „Werteinitiative“ sieht das doch offensichtlich anders?
Wir wollen nicht nachkarten. Ich glaube, daß alle Lager aufgerufen sind, ihre Position zu hinterfragen und aus Fehlern zu lernen.
In dem Aufruf der „Werteinitiative“ heißt es, daß nur Menschen mit Ich-Stärke das Selbstbewußtsein entwickeln können, um auch mit Fremden, mit Konkurrenz und Streß gelassen umgehen zu können. Kann man Ich-Stärke durch harte autoritäre Erziehung entwickeln?
Nein. Das ist ja auch nicht unser Weg. Wir wollen eine Erziehung, die erklärend wirkt, die aber auch klare Grenzen setzt und Verbote einschließt.
Gehören zu den Verboten auch Strafen?
Ja, wir stehen auch zu Strafen. Das darf keine körperliche Strafe sein, aber Regelverletzungen müssen Folgen haben, damit Regeln auch eingeübt und akzeptiert werden.
Für Kulturkritiker wie Paul Goodman gibt es im Grunde nur eine „richtige“ Erziehung – „das Aufwachsen in einer Welt, in der es zu leben lohnt“. Mit Blick auf Goodman hat der Bielefelder Pädagoge Hartmut von Hentig seine Zweifel an der Renaissance der Wertedebatte so ausgedrückt: „Weil wir die Welt nicht haben, in der es sich zu leben lohnt, substituieren wir Pädagogik und predigen Werte.“ Lenken Sie mit Ihrer Wertediskussion nicht nur vom Elend der materiellen Verhältnisse ab?
Ich sehe sehr wohl, daß es materieller Voraussetzungen für eine vernünftige Entwicklung von Kindern bedarf, aber diese Einschätzung macht eine Wertediskussion nicht überflüssig.
Zugespitzt formuliert: In einer Gesellschaft, die zunehmend verkommt, verkommen zuerst die Kinder.
Richtig...
...Steht die Wertediskussion nicht in der Gefahr, von den realen Ursachen der Misere abzulenken?
Ich denke nicht, denn die Diskussion soll sich im Alltagsleben niederschlagen, wir wollen den Alltag verändern.
Den fast eine Million Kindern, die in Deutschland in Armut leben, hilft doch nicht eine Wertepredigt, sondern die Beseitigung der Armut.
Natürlich muß die Armut überwunden werden, aber eine Debatte und neue Orientierung über grundlegende Werte wird dadurch doch nicht überflüssig. Es geht uns ja gerade nicht darum, Werte für Kinder zu predigen, sondern darauf hinzuwirken, daß die Erwachsenen sich diese Werte selbst zur Richtschnur machen. Wenn das nicht geschieht, werden die Kinder sie auch nicht annehmen. Eltern, die selbst permanent zur Flasche greifen, werden Kindern gewiß nicht als gutes Beispiel für ein suchtfreies Leben dienen können. Wenn ich möchte, daß Kinder nicht süchtig werden, muß ich mich selbst als Erwachsener auch entsprechend verhalten. Ich kann nicht etwas von Kindern verlangen, was ich selbst einzuhalten nicht bereit bin. Das betrifft alle Gesellschaftsschichten und ist beileibe kein Exklusivproblem für einkommensschwache Gruppen.
Sie haben in Ihrem Aufruf vor einer Instrumentalisierung der Wertediskussion gewarnt. Jeder sollte zunächst vor seiner eigenen Tür kehren. Wo hat die CDU die Debatte instrumentalisiert?
Ich will hier zu den Sünden der Vergangenheit – da haben alle Parteien ihren Anteil – nicht Stellung nehmen. Ich möchte nach vorne schauen und werbe dafür, daß gerade wir als Politiker und Politikerinnen mit grundsätzlichen Werten anders umgehen. Es geht zum Beispiel darum, den jeweiligen politischen Gegnern mit mehr Achtung zu begegnen, die Persönlichkeiten des anderen politischen Lagers zu respektieren. Wir sollten auch darauf verzichten, jede Frage sofort unter parteipolitischem Kalkül zu betrachten. Es werden im Landtag Anträge gestellt, die vom Inhalt her gar nicht strittig sind, die aber gleichwohl entlang der parteipolitischen Konstellation abgelehnt werden, weil sie aus der „falschen“ Partei kommen.
Solche parteipolitischen Spielchen werden Sie kaum stoppen können. Sind Sie und Ihre KollegInnen nicht hoffnungslose IdealistInnen?
Nein, immerhin haben wir gezeigt, daß man gemeinsam etwas zustande bringen kann. Die zahlreichen Unterschriften aus allen politischen Parteien belegen, daß wir mit unserem Ansatz nicht alleine stehen. Zahlreiche Zuschriften von Eltern und Pädagogen zeigen darüber hinaus, daß es für diese Initiative auch außerhalb der Parteien große Sympathie gibt. Die Menschen haben billige parteipolitische Profilierung und Scheinkämpfe schlicht satt. Viele Eltern suchen Orientierung und betrachten unsere Initiative als Angebot. Interview: Walter Jakobs
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