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■ Die Deutzer haben's besser, die Deutzer haben Lommerzheim – die Tränke mit RuhetagDie ersten dürfen sich setzen, der Rest trinkt stehend

Wer nach Köln umzieht, also zum Immi wird, bekommt schnell eingetrichtert, daß die rechtsrheinische Seite der Stadt aus Urkölner Sicht gar nicht zu Köln gehört. Deutz – und all die anderen schönen Viertel jenseits des halbverwesten Opas Rhein – gehören zur „Schäl Sick“, der „blinden Seite“. Dieser folkloristische Begriff stammt aus jener Zeit, da Pferde die Schiffe vom Ufer aus stromaufwärts zogen. Auf der wasserzugewandten Seite wurden den Pferden Scheuklappen aufs Auge gedrückt, damit sie fügsam arbeiteten. Mit diesem Optik-Trick jedenfalls war die „Schäl Sick“ dem Pferdeblick entzogen.

Aber wie so häufig sind das wahrscheinlich bloß übelste Verleumdungen, die Neider in die Welt gesetzt haben. Denn jeder in Köln weiß, daß es die Deutzer besser haben, denn die Deutzer haben Lommerzheim. Die Gaststätte, im Volksmund „Lommi“, befindet sich in der Siegesstraße, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Jugendherberge und Finanzamt. Von außen sieht der Schuppen aus, als bräche er gleich zusammen: Das einstöckige Haus hat etwa seit der napoleonischen Besatzung des linksrheinischen Köln keinen Anstrich mehr bekommen; die Rahmen der Holzfenster sind wurmstichig und morsch. Doch vor der schweren, alten Tür versammelt sich täglich – außer Dienstags (Ruhetag) – zwischen 16.00 und 16.30 Uhr eine Menschentraube, bis Lommi endlich aufmacht. Zwar gibt's sogar im Internet unter www.lommi.de rund um die Uhr einen Link „Tischreservierung“, doch angeklickt erscheinen dort bloß die Hinweise „Freie Platzwahl im ganzen Lokal“ und „Zur Zeit keine Tischreservierung“. Aber die Internetseite ist eine inoffizielle. Tatsächlich müssen sich alle anstellen. Und wer zuerst kommt, darf sich Punkt halb fünf zuerst an einen Tisch setzen; der Rest muß im Stehen trinken, wenn er denn überhaupt hereinkommt.

Die Qualitäten dieser Gaststätte erschließen sich nicht sofort. Die Luft immer stickig, trotz der zwei Yucca-Palmen und einer dritten Kreuzung aus natürlichem Chlorophyl-Material und recycletem Plastik. Ein paar dekorative Details unterstreichen den Charakter des Innenraums: zwei Geweihe, eine Eishockeyausrüstung aus der Nachkriegszeit, inklusive Trikot mit dem Aufdruck „Lommi10“, und zahlreiche Plaketten mit Sprüchen à la „Ein Volk, das seine Wirte nicht ernähren kann, ist es nicht wert, sich eine Nation zu nennen“. Auf der alten Theke steht eine bacchantische König-Alkohol-Statue; in dem Regal dahinter all das, was man nach dem Goutieren eines der fünf Zentimeter dicken Koteletts (mit Fritten, zwei Scheiben einer milden Gewürzgurke, leicht angeschwenkten Zwiebeln, Senf und Gewürzketchup), einer köstlichen Bratwurst (Beilagen s.o., ohne Gewürzgurken und Zwiebeln) oder einer Brühwurst – besser: einer ganzen gekochten Fleischwurst (Beilagen s. Bratwurst) – kurz, all das, was man für eine anständige Blähung nach dem Essen braucht: Leckerer Underberg, Mariacron, Fernet Branca, Asbach Uralt, Zigarren und Zigaretten. Lommi's Aborte befinden sich außerhalb der Schankstube im Hinterhof. Für die Damen bedeutet das an kalten Wintertagen eine gelungene Blasenerkältung, während die Herren einmal so richtig – wie einst Opi – in eine zugefrorene Pißrinne strullen dürfen. Wie gesagt: Wer keinen Sitzplatz findet, muß stehen und sich mit der Aufnahme flüssiger Nahrung zufrieden geben.

Die Wahl fällt leicht, weil Lommi die einzige Kölner Kneipe ist, die neben der Brauerei selbst Päffgen ausschenkt. Aber Lommi schenkt mehr aus! Angeblich weist der Laden in Köln den höchsten Kölsch-Umsatz pro Quadratmeter auf. Am vergangenen Montag wollen Zeugen gar gesehen haben, wie alle 29,32 Minuten ein neues 30-Liter-Faß aufgemacht wurde, vom Chef persönlich hereingerollt und angeschlagen; den Hahn nicht mit einem Hammer traktiert sondern mit dem Handballen durchs Holz hindurch ins Bier gestreichelt. Ja, wenn Lommi ein Faß aufmacht, sieht er liebevoll aus, auch wenn er sonst ohne jede Gefühlsregung durch sein Reich watet. Immer hängen seine Mundwinkel schlaff herab und dennoch sind die Lippen gespitzt; nie verliert er ein überflüssiges Wort. Wenn er Bestellungen entgegennimmt, nickt er nur. Es heißt, daß er seine Mission ansonsten vergäße. Ein Mann, dem man seine Treue zu Lommi an den geplatzten Äderchen im Gesicht ablesen kann, beunruhigt das nicht: „Ich geh hier hin, seit ich 18 bin – das ist schon 100 Jahre her – und nach acht Jahren hat der mir zum ersten Mal ,Tach‘ gesagt. Da hab ich gefragt: ,Wie, sprechen kannste auch?‘“

Nun werden sich Urkölner, Immis und die einäugigen Pferde eine andere Tränke suchen müssen. Lommi hat letzten Montag seine Türen geschlossen. Jedoch, keine Angst, nicht für immer. Nein, Lommi ist wohl die einzige Kneipe in Köln und Hinterland, deren Wirt es sich tatsächlich traut – über Karneval zu schließen! Barbara Geschwinde und

Björn Blaschke

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