■ Die Deutschen sind gegen den Drogenkonsum: Herrn Lintners Volk
Wieder einmal fasziniert uns die Meinung des Volkes. Die ist, da stets thematisch und in Prozenten geäußert, zu 46%für die ärztliche Verschreibung von Heroin, zu 51% für straffreies Haschisch, zu 88% für eine strengere Drogenpolitik und zu 75% für die Todesstrafe. Vox populi, vox dei? Da sind wir gewarnt: Populismus ist bekanntlich ein noch übleres Laster als Pietismus. Gerade Unpopuläres fordere das Volk, siehe Solidarpakt, und schon die Klassiker verdammten den Wankelmut desselben.
Nur ein Volk kann nie irren, und dieses gehört Herrn Eduard Lintner, von der CSU Oberpfalz dem Bundesinnenministerium als Staatssekretär und Bundesdrogenbeauftragter entsandt. Als Fachmann qualifizierte er sich noch mit der Erkenntnis, cold turkey sei eine türkische Haschischart, aber er hat dazugelernt. Vor sechs Wochen, erzählt er uns im Spiegel, hatte er in seinem Wahlkreis „abhängige Mütter mit Kindern zu Besuch, die von der Tübinger Drogenhilfe betreut werden“ (Ach, Thies Pörcksen, die hast Du sicher gut instruiert!), und die drei beschworen ihn, „zu drei Vierteln“ und händeringend: Streichen Sie um Gottes Willen nicht die Strafbarkeit, die macht auf normale Jugendliche Eindruck.“ Das machte auch solchen auf Herrn Lintner, denn davor hatte ein Volk von 17 Schülern mit 79 Prozent bekannt, nur die Strafandrohung würde es vor hemmungslosem Kiffen bewahren. Auf Herrn Lintners Volk ist eben rundum Verlaß.
Nun wollen wir nicht vermuten, daß dieses Volk von Allensbach auftragsgemäß auf Oberpfälzer Stammtischstandard gestriegelt wird. Wir wissen ja, was Drogen sind, wenn für Allensbach Alkohol, Nikotin und Pharmaka keine sind, und wir kennen zur Genüge, was geschieht, wenn jeder seine Meinung zu einem Problem äußern soll, das doch nur für 0,0025 Prozent der Gesamtbevölkerung jährlich ein tödliches ist. Im Suff hängt fast jeder die Junkies zur Mafia an die Laterne. Wollen wir's positiv sehen, sollten wir uns darüber freuen, daß Frau Noelle genauso viel Volk befragte wie letztes Jahr „an Drogen“ verreckte – die Demoskopie hat eben Humor.
Auch Herr Lintner. Das ZDF hat er wissen lassen, daß „eine Änderung der Drogenpolitik mit einem bürokratischen Aufwand verbunden wäre, den man der Bevölkerung keinesfalls zumuten kann“. Und den Spiegel: „Wer der Entkriminalisierung das Wort redet, macht die so dringend nötige Prävention schwer bis unmöglich. Er liefert nämlich denjenigen, die womöglich in den Dunstkreis der Drogen geraten, sozusagen die innere Ausrede.“ Oder, auf Alkohol angesprochen: „Wenn ich die Pest im Lande habe, muß ich die Cholera zulassen?“ Also freuen wir uns mit ihm, daß „76 Prozent der Bevölkerung die Drogenpolitik der Bundesregierung bestätigen“. Nachgerechnet sind das zwar nur 0,001875 Prozent, aber das ist angesichts der allgemeinen Politikverdrossenheit doch sehr viel. Herr Lintner sagte allerdings auch: „Ganze Gesellschaften können in die falsche Richtung laufen und irgendeine Politik durchsetzen, die sich am Ende als fataler Fehler herausstellt.“ Hans Georg Behr
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