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Die Deppen sind die Besten

■ Die Musikclowns »Corvi« proben in der UFA-Fabrik ein Klezmer-Konzert

Vier Musiker haben einst in Brüssel Straßentheater begleitet. Natürlich ist diese Zeit lange vorbei, die Clown-Power der frühen siebziger Jahre ist eine Sache der politischen Nostalgie geworden. Die Grundfigur des Clowns selbst jedoch nicht, sie war nie ganz zeitgemäß, und eben deswegen so komisch. Der Clown ist ein Trost für alle, die nicht so recht mitkommen. Louis Spanga, Jean Coulon, Baudoin Dehaye und Jean Pierre Debacker haben sich deswegen in den Saal zurückgezogen, um sich dort auf die Pannen zu konzentrieren, die beim Musizieren schier unvermeidlich sind. Sie sind Musikclowns geworden und gastieren nun mit ihrem ersten Programm dieser Art im Theater-Saal des UFA-Geländes.

Der Raum ist viel zu groß für die wenigen Leute, die das bislang unbekannte Quartett anhören wollten. Zu groß auch, für knappe sechzig Minuten des Auftritts, die manchmal mit zu langen Pausen gefüllt werden. Trotzdem stellt sich das kleine Glück des Gelingens ein, das im Genre des Musikclowns besonders einleuchtende Gründe hat. Hier mühen sich vier Männer im schwarzen Anzug an ihren Instrumenten ab. Nicht wahrscheinlich ist, daß die Orchesterprobe, die da nur schwer in Gang kommt, jemals zum Erfolg führt. Der Xylophonspieler vor allem scheint ein Fall klinischer Geistesschwäche zu sein. Er schafft es gerade noch, einen Ton zu treffen. Der Tubaspieler schält schon mal eine Banane, der Akkordeonist hat längst resigniert, spielt sich aber auf wie Toscanini höchstpersönlich; der Klarinettist bunkert Alkohol.

Ein Bild des Jammers, das aber in Sekunden umschlägt in sein Gegenteil. All diese Katastrophen sind in Wirklichkeit das Ergebnis staunenswerter Virtuosität. Die Probe mißlingt, aber die Musik klingt dennoch wie ein Wunder und ist eine Erlösung aus den Tücken des Objekts. Wahre Helden tun das Falsche richtig, darin sind sie den Tüchtigen himmelweit überlegen, die es bloß bis zur Perfektion gebracht haben. Und das eben ist die immer wieder brauchbare Tröstung des Clowns: Wir Deppen vom Dienst sind die Größten.

Klezmer-Versionen von Volksmelodien überwiegend osteuropäischer Herkunft haben sich die Belgier für diese erneute Demonstration einer bewährten Kunst gesucht. Noch sind sie, die Musiker, so sehr mit der Erarbeitung ihrer Komödianten-Rollen beschäftigt, daß sie mitunter das Eigengewicht dieser Stücke vergessen, die leicht als bloßer Ausdruck melancholischer Stimmung mißverstanden werden. Immerhin: der Klarinettist Jean Coulon läßt sein Instrument auch dann weinen, wenn es dem Taktmeister am Akkordeon nicht paßt und erinnert daran, daß der Klezmer-Ton nicht aus dem bloß schönen Gefühl der Wehmut kommt, sondern aus der Trauer des gejagten Volkes der Juden. So ernst darf ein Clown schon sein. Niklaus Hablützel

Noch heute, 21 Uhr, UFA-Fabrik

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