■ Die Debatte um die Gefährlichkeit von Scientology trägt hysterische Züge. Das hilft der Sekte, sich als ein Opfer des Staates zu stilisieren: Das totalitäre Schreckgespenst
„Wir nutzen nur zehn Prozent unseres Gehirns“, ist einer der Slogans von Scientolgy. Bisher konnte man das getrost als unfreiwillige Selbstbezichtigung der Beschränktheit einer aggressiven Psychosekte belächeln. Inzwischen läuft aber auch der Denkapparat der vereinten Anti-Scientology- Front auf niedrigen Touren. Eine rationale Politik mit Augenmaß gegenüber dem Psychokonzern wird zunehmend ersetzt durch öffentliche Überreaktionen von Parlamenten, Behörden, Kirchen und Medien. Das zeigen vor allem zwei Dinge: Mangel an Selbstvertrauen der Zivilgesellschaft gegenüber der maßlos überschätzten Gefahr, die von Scientolgy ausgeht – und Ignoranz gegenüber den Mechanismen, mit denen Scientology ihr Projekt vorantreibt.
Denn wenn sich die Scientologen auf etwas verstehen, dann ist es effektive PR-Arbeit. Als straff organisierte Firma verfügt die „Kirche“ Scientology über große Ressourcen an finanzieller und politischer Macht, die sie oft skrupellos zur Verfolgung ihrer Ziele und zur Drangsalierung ihrer Gegner einsetzt. Doch die Pläne und Träume von der Weltherrschaft der Hubbard-Jünger werden hysterisch überbewertet, und das gerade in Deutschland, wo jahrhundertelang die beiden großen Staatskirchen mit Inquisition und Glaubenskriegen den Terror gegen Andersdenkende geführt haben.
Von Scientology als einer der „gefährlichsten Herausforderungen für die Demokratie“ zu sprechen, wie es der Sektenbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin- Brandenburg tut, fällt auf die Ankläger selbst zurück. Die Einschätzung zeigt eine enorme Ignoranz gegenüber wirklichen Gefahren für die demokratische Gesellschaft, wie die Folgen von Globalisierung und Sparwut, von ökologischer Verwüstung und der Perspektivlosigkeit von Millionen Menschen. Kirchlichen Sektenbeauftragten ist dieser Alarmismus als Teil ihres Jobs nachzusehen. Unerträglich wird er bei Politikern und der „kritischen Öffentlichkeit“. Tatsache ist: Über die Bedeutung von Scientology weiß die Öffentlichkeit so gut wie nichts. Hält die Organisation wirklich den Immobilienmarkt in den Metropolen unter ihrer Kontrolle? Wie weit sind sie auf dem Marsch in die Schaltzentren der Macht? Auch die Aussagen der Sektenexperten bleiben harte Fakten schuldig. Für das Schreckgespenst einer totalitären Bedrohung sind die Andeutungen, Vermutungen und Schätzungen aber keineswegs abträglich: Je weniger über die Gefährlichkeit der Organisation bekannt ist, um so wilder blühen die Vermutungen.
Die Innenminister beteiligen sich munter daran. So stellt der Berliner Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) eine Studie des Verfassungsschutzes vor, in dem Scientology als „Moloch“ bezeichnet wird, der „nicht von Religiösität geleitet ist, sondern einzig von der unersättlichen Gier nach Geld und Macht“. Das ist ein Argument gegen den Charakter von Scientology als Kirche, aber kein Argument für die Observation durch Geheimdienste. Schließlich lebt der Kapitalismus von dieser Gier. Auch verstoße Scientology „eklatant gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes“, weil „Ehrliche“ gewisse Rechte hätten und die breite Masse rechtlos sei. Doch auch die katholische Kirche kümmert sich nicht um diesen Grundsatz, wenn sie Frauen die Gleichberechtigung verweigert.
Diese Alarmstimmung in der Öffentlichkeit aber spielt der Taktik der Scientologen in die Hände. Denn warum demonstriert Scientology? Nicht so sehr, weil das Bundesverwaltungsgericht entscheidet, ob die Firma als steuerbegünstigter Verein gefördert werden kann. Die Demonstration soll für den US-Medienmarkt möglichst aussagekräftige Fernsehbilder inszenieren. Am besten einige tausend sauber gescheitelte, enspannt grinsende Scientologen, allen voran John Travolta oder Chick Corea vor dem Brandenburger Tor. Und am allerbesten eine wütende Gegendemonstration, mit echten Übergriffen oder mit Agent provocateurs.
Diese Bilder brauchen die Konzernherren für ihren Kreuzzug gegen Deutschland. In den USA vergleichen die Sektierer die deutschen Maßnahmen gern mit der Judenverfolgung im Dritten Reich. Die USA, gegründet von religiösen Eiferern, die vor der religiösen Intoleranz Englands flohen, legen traditionell extrem großen Wert auf die Freiheit aller „Religionen“ oder „Kirchen“ – ohne Prüfung ihres Inhalts. Die überzogene Reaktion der deutschen Behörden auf das Problem Scientology hat bereits das US-Außenministerium zu Kritik an Deutschland getrieben. Die geplanten Bilder aus Berlin sollen ein übriges tun.
In der Tat ist der Einsatz des Verfassungsschutzes schwer zu rechtfertigen. Nach den Argumenten der Geheimdienstler könnte man jeden Verbrecher und erst recht die organisierte Kriminalität von ihnen überwachen lassen. Die Einschaltung dieser Behörde ist dann auch eher ein Ausdruck der Hilflosigkeit gegenüber einer Organisation, mit der die Gesellschaft nicht zurechtkommt, als die reale Angst vor einer Machtübernahme der Hubbard-Nachbeter. Endlich ein böser Feind, der dämonische Züge trägt und über dessen vermeintliche Gefahr für die Demokratie sich von links bis rechts alle einigen können. Der Ruf nach dem Verfassungsschutz zeigt aber auch wiederum, wie wenig selbstbewußt und hysterisch die politische Klasse der Bundesrepublik auf reale oder eingebildete „innere Feinde“ reagiert – seien es Kommunisten, Terroristen oder Scientologen.
Natürlich muß man „Flagge zeigen“ gegen Scientology. Aber man muß den Seelenfängern dabei nicht auf den Leim gehen. Letztlich ist Scientology ein individuelles Problem und keine Bedrohung für die Gesellschaft. Wer sich zu den Dianetik-Kursen begibt, weiß inzwischen, für welche psychologischen Abhängigkeiten er sein Geld verschleudert – aber schließlich sind auch Spielbanken legal.
Wo Scientology durch politischen Einfluß und wirtschaftliche Macht ihr System der gnadenlosen Erfolgsorientierung, des autoritären Machtdenkens und der physischen und psychischen Bekämpfung von Andersdenkenden in die Gesellschaft trägt, da muß der Widerstand ansetzen. Ob in der Immobilienwirtschaft, in der Politik oder im Industriemanagement: Aufklärung, deutlicher Widerspruch und soziale Ächtung sind allemal sinnvoller als Berufsverbote und Geheimdienstobservation – und vor allem ist der dosierte Widerstand gegen Scientology effektiver als eine allgemeine Hysterie, von der nur die Scientologen profitieren. Bernhard Pötter
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