■ Die Debatte um das Präsidentenamt schlittert weiter ins Fiebrige und greift die Substanz der liberalen Gesellschaft an: Kulturkampf zum zweiten und dritten
Unter dem Vorwand, den Kulturkämpfern den Kulturkampf zu vermiesen, selbst den Kulturkampf auszurufen – das nenne ich ein Schelmenstück. So zu bewundern in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im gestrigen Leitartikel von Eckhard Fuhr. Der Titel: „Ein Kulturkampf“ ist aus der taz (Kommentar vom 14.9.93) geklaut, der Inhalt ist ein ganz eigentümliches Spitzenprodukt konservativer Logik. Es lohnt, dieses Stückchen Polittext als Lehrbeispiel aufzubewahren, um zu studieren, auf welch niedrigem Niveau neuerdings in Leitartikeln polemisiert werden darf. So schlittert die Debatte um den nächsten Bundespräsidenten immer weiter ins Fiebrige und Bodenlose. Nur weiter so, Deutschland, viel Stoff fürs Kabarett.
Textbeispiel: „Es herrscht Aufruhr an den linken und liberalen Stamm- und Schreibtischen. Das gesunde Volksempfinden begehrt dort auf. Warum? Ein Fremder will Bundespräsident werden.“ Also tritt, mit ritterlicher Gebärde, Herr Fuhr auf den Plan, und verteidigt den armen Fremden – es handelt sich um den reinen Toren, Steffen Heitmann aus Sachsenland – gegen den Furor Teutonicus des linken Pöbels. Zum Fremden wird Steffen Heitmann, weil er sich mit seiner Warnung vor der „Überfremdung der Deutschen“ für Fremde etwas befremdlich ausgedrückt hatte. Herr Fuhr wiederum wird zum Fremdenfreund, weil er dies Befremdliche so schön exotisch findet und gegen das gesunde Volksempfinden verteidigt. Alles klar?
Anderes Beispiel: „Eine Kandidatur Heitmanns, gar seine Wahl zum Bundespräsidenten, wäre ein Zeichen dafür, daß die kulturelle Veränderung in Deutschland nicht nur auch die politische Klasse erreicht hat, sondern im höchsten Staatsamt Ausdruck findet.“ Was will der Autor uns sagen?
Erstens: Das Amt des Bundespräsidenten ist auf geheimnisvolle Weise zwar der Sphäre der politischen Klasse enthoben, enthält aber doch eine endgültige Kulturbotschaft über deren Hegemonie. Zweitens: Eigentlich ist zwar schon alles gewonnen, aber weil die siegreiche Fraktion das immer noch nicht recht glauben kann nach der langen Zeit „linskliberaler Hegemonie“, muß dies nun auf höchster Ebene dokumentiert werden – nur, einen Kulturkampf darf man das dennoch nicht nennen. Drittens: Als Siegtrophäe im Kampf um diese kulturelle Hegemonie wird das Amt des Bundespräsidenten ausgelobigt. Wenn sich aber das linke und liberale Spektrum der Republik dagegen wehrt, folgt es nur niedrigen Kampagnen der „Wut und Rücksichtslosigkeit“, ja der „politischen Killerinstinkte“.
Wo so schweißtreibend Gedanken gestemmt werden, wo so viel falsches Pathos bemüht wird, da möchte man gern einen Preis aussetzen für ein herzhaftes Gelächter, das endlich den Spuk der tausend Peinlichkeiten vertreibt. Peinlich war die Methode, mit der Steffen Heitmann inthronisiert wurde. Peinlich ist das meiste, was er bisher an Worten und Gedankensplittern von sich gegeben hat. Peinlich ist, wie beglückt er seinen eigenen unverhofften Karrieresprung als Muster einer gelungenen deutschen Einheit bestaunt. Peinlich waren die Heiligenbildchen, die die FAZ in täglicher Stickarbeit angefertigt hat, um ihren Liebling dem Volk nahezubringen. Peinlich war, wie die Zeit im Gegenzug die Parole ausgab: „Einer für alle“ und damit meinte: „Nun aber alle für einen.“ (nämlich Rau!).
Hochnotpeinlich ist inzwischen das parteipolitische Gerangel von CDU, SPD und FDP um ein Amt, das ihnen nicht gehört. Peinlich ist, wie inzwischen gute Namen wie Spreu in den Wind gestreut werden. Peinlich ist es, mit Verlaub, wenn die liberale Öffentlichkeit mit der möglichen Wahl des Leichtgewichts Steffen Heitmann gleich den Untergang der modernen Zivilgesellschaft prophezeit und sich so eine Niederlage grandiosen Ausmaßes herbeiphantasiert, die längst nicht ausgemacht ist. Warum so furchtsam? Hat die bundesrepublikanische Gesellschaft nicht schon ganz anderes überlebt? Sicher, Heitmann, das hieße wieder ein paar verlorene Jahre mehr, das hieße: wieder eine interessante Adresse weniger in Bonn. Das ist schlimm genug – aber das ist es dann auch.
Die Fieberkurve steigt schneller in Deutschland als gut ist, darin allein liegt das wirklich beunruhigende. Die Parteistrategen, die damit so leichtfertig spielen, spielen mit dem Feuer. Und mit dem Feuer spielen auch die Mitglieder der politischen Klasse, die sich immer nicht zugehörig wähnen, jene Leitartikler, die solche stumpfsinnigen Polemiken schreiben. Aus vergleichsweise nichtigen Anlässen kommt die Debatte immer schneller an den Punkt, wo es um Sein oder Nichtsein geht, auch wenn das gar nicht die Frage ist.
Substanzverlust auf der ganzen Linie. Aber welche Substanz ist es eigentlich, die in diesen Debatten verschleudert wird? Es ist die Substanz einer liberalen bürgerlichen Gesellschaft, die ein bestimmtes Qualitätsniveau nicht unterschreiten darf. Es ist die Übereinkunft, daß die großen politischen Gruppen sich gegenseitig nicht unbestraft ständig bis aufs Blut reizen dürfen, sondern die jeweiligen Identitäten zu respektieren haben. Es ist die Übereinkunft, daß der öffentliche Diskurs und die Besetzung überparteilicher Ämter im Regelfall auf Konsens und nicht auf Polarisierung auszugehen hat.
Helmut Kohl hat mit dem Namensvorschlag Steffen Heitmann als erster gegen diesen Grundkonsens verstoßen – und zwar ohne Not, denn es gab Alternativen. Es steht zu vermuten, daß dies sein schwerster machtpolitischer Fehler der letzten Jahre war. Er wird dabei verlieren – unabhängig davon, ob er Heitmann durchsetzt oder nicht.
Jetzt kommt es darauf an, daß sich in das Drama des langwierigen Niedergangs dieses Dinosauriers nicht auch noch die halbe politische Öffentlichkeit mit hineinziehen läßt. Antje Vollmer
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