: Die Chance der Demokratie
Ein neues Jugendmagazin soll zeigen, was Demokratie ist ■ G L O S S E
Sie ist bunt und umsonst und die sechs jungen Leute auf dem Titelblatt blicken fröhlich in die Zukunft: „Chance“ - die neue Jugendzeitschrift, die in diesen Tagen mit der stolzen Auflage von 300.000 Exemplaren auf den jungen DDR -Zeitungsmarkt geworfen wird. Die Jugendvertreter demokratischer Parteien, der Christdemokratischen Jugend (CDJ), der Jungen Demokraten (des DA), der Jungliberalen Aktion und der Jungen Sozialdemokraten haben sich zusammengetan, um ein Gegengewicht zur „Jungen Welt“ zu schaffen und den jungen Menschen in der DDR endlich zu zeigen, was Demokratie ist.
Das fängt damit an, daß westliche Starthelfer gesucht werden, die sowohl die Finanzierung besorgen als auch beim Inhalt nachhelfen können. Ein kleiner Verlag aus dem Ruhrgebiet hatte sich kurzentschlossen bereit erklärt, 'mal eben‘ für die DDR eine Zeitschrift zu verlegen und sich um die Finanzierung der neuen „Chance“ über BRD-Anzeigen zu kümmern. Zwischen ganzseitigen Zigarettenreklamen wirbt die Bundesregierung nun für ihr vielfältiges Informationsmaterial in Sachen Demokratie, und Vertreter der etablierten Westparteien erhalten reichlich Raum zur Selbstdarstellung.
Ähnlich unbescheiden präsentiert sich Manfred Baldschus, der Verleger aus Bochum. Zum Geburtstagsfest der ersten „Chance“ versammelten sich neben den zahlreichen Journalisten auch Vertreter von Springer und Gruner&Jahr, um zu sichten, was noch mitgenommen werden kann vom Medienbuffet. Noch sei ja alles so günstig hier, frohlockte Baldschus. Und es mache einfach Freude, zu helfen und jungen DDR-Journalisten eine erste „Chance“ zu geben.
Demokratie ist - das ist die zweite Erkenntnis, die uns die neue „Chance“ offenbart - wenn ohne Werbung nichts läuft. Und so sollen die „Chance„-LeserInnen die zukünftigen Anzeigenkunden darüber informieren, ob sie lieber Cola oder Bier trinken und ob sie fertige oder selbstgedrehte Zigaretten zu rauchen wünschen. Die Antworten auf diese Fragen könnten den Fortbestand der „Chance“ entscheidend mitbestimmen und vor allem scheinen sie ein existenzieller Bestandteil dieser neuen Demokratie zu sein.
Claudia Haas
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