■ Die CDU umwirbt die Grünen – zum Schrecken der SPD: Lagerunordnung
Nicht zu fassen. Da wirbt die SPD ein ganzes, langes Wahljahr um die Grünen, streitet unentwegt für die gemeinsame Reformperspektive, bietet das historische Bündnis – und dann das: Bei der erstbesten Gelegenheit lassen sich die Grünen mit Wolfgang Schäuble ein, setzen zusammen mit der Union ihre Vizepräsidentin durch, statt – wie es bislang noch immer guter parlamentarischer Brauch gewesen ist – mit voller Unterstützung der SPD darauf zu verzichten. Ein Abgrund von Partnerverrat.
„Enttäuschte Liebe“ lautet denn auch die spontane Erklärung, will man der heftig-bitteren Reaktionen der SPD nach dem schwarz-grünen Präsidiumscoup interpretatorisch Herr werden. Wut und Enttäuschung, keine Frage. Aber Liebe? – Vor der Bundestagswahl jedenfalls klang das noch anders. „Nichts“ von den bündnisgrünen Wahlaussagen werde sich in einem Regierungsprogramm finden, erklärte SPD- Bundesgeschäftsführer Günter Verheugen, während Parteichef Scharping wissen ließ, es stehe außer Frage, wer in einer rot-grünen Koalition die Rolle des „Koches“ und wer die des „Kellners“ zu spielen habe. Jetzt proben die Kellner den Aufstand. Im Berliner Reichstag ist keine „Liebe“ in die Brüche gegangen, eher schon ein oft von Herablassung durchzogenes Vormundschaftsverhältnis. Das kann, sobald sich die SPD wieder beruhigt hat, der politischen Zusammenarbeit von Rot und Grün nur guttun.
Doch vorerst hat sich die SPD wieder einmal der ihr eigenen Form der Trauerarbeit verschrieben. Das Muster ist noch von der Herzog-Wahl her bekannt: verkämpfen, verlieren, drohen. Die Drohungen jedoch klingen eher lächerlich, damals wie heute. Und auch die bösen Vorwürfe sind nicht sonderlich plausibel. Grüne FDP? – Dabei sind die Sozialdemokraten einfach schockiert, daß sie die Grünen nicht länger wie exklusive Mehrheitsbeschaffer behandeln können. Der Kern des sozialdemokratischen Entsetzens liegt in der erstmals angedeuteten Perspektive, die SPD werde künftig mit der Union um den Bündnispartner konkurrieren müssen. Die Grünen, meint Peter Struck, sind „politisch unkalkulierbar geworden“. Da ist was dran.
Bislang hat nur einer aus der SPD genügend Distanz bewiesen, das Berliner Ereignis nicht als haarsträubende Unverschämtheit zu bejammern, sondern kühl zu analysieren: Für Gerhard Schröder ist das schwarz-grüne Zweckbündnis zur Wahl Antje Vollmers ein Signal, daß der SPD „ein sicher geglaubter Koalitionspartner“ abhanden zu kommen droht. Er rät zu behutsamem Umgang. Da ist sie schon, die neue Konkurrenz.
In Berlin wurde erstmals und spektakulär die starre politische Lagerordnung der Republik dementiert. Dieses Dementi arrangiert und genossen hat vor allen anderen Wolfgang Schäuble. Kein Schwarz-Grüner, darf man behaupten. Sicher hat er Spaß daran, die SPD vorzuführen, natürlich kam ihm, dem Verwalter knapper Mehrheiten, die Chance gerade recht, einen Keil in die Opposition zu treiben. Doch hat die Union im Bundestag allein zu Schäubles Vergnügen ihr Grün-Tabu gebrochen? Wohl kaum. Es war nicht Übermut, sondern die ungemütliche Perspektive, bei künftigen Mehrheitsbildungen auf Gedeih und Verderb an die niedergehende FDP gebunden zu sein. Die Union, soviel ist sicher, braucht neue Optionen. Das, nicht mehr, aber auch nicht weniger, hat sie in Berlin demonstriert.
Ob aus dem Signal Politik wird? – „Völlig daneben“ nennt Joschka Fischer das jetzt anhebende „schwarz-grüne Gequatsche“. Gut gebrüllt. Doch die in Berlin einen Spaltbreit geöffnete Tür will auch der grüne Zampano kaum schon wiederzuschlagen. Er wünscht sich eine „Geißler-Union“. Na bitte. Und wie könnte die SPD aussehen, mit der eine gemeinsame, ökologische Reformpolitik möglich erscheint? Das ist die Frage. Wer antwortet? Immer weiter Peter Struck? Oder am Ende doch Heiner Geißler? Matthias Geis
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