■ Die Bundeswehr in Somalia: Rühe siegt im Wüstensand
Wenn im April 94 das Bundeswehrkontingent aus Somalia ohne Särge zurückkommt, hat Volker Rühe eine große Schlacht gewonnen. Zwar sind bis zum Endsieg noch einige Scharmützel zu überstehen, doch der entscheidende psychologische Durchbruch wird erreicht sein. Rühe siegt nicht mittels Feuerkraft, sondern mit der Macht des Faktischen. Die Bundeswehr im Wüstensand – das Publikum hat sich daran gewöhnt, daß Politiker mit Spielesammlungen unter dem Arm zur psychologischen Aufmunterung unserer Jungs auch in ferneren Weltengegenden herumfahren. Dunkel erinnert man sich an verwirrende Debatten und Karlsruher Richtersprüche, doch das ist offenbar Schnee von gestern.
Dabei hat Oberstratege Rühe – bis jetzt – vor allem Glück gehabt. Der scheinbare humanitäre Selbstläufer „Brot für Somalia“ ist für die UNO, die USA und andere mindestens teilweise zum Debakel geworden. Statt Carepaketen werden Bomben geworfen, und von UNO-Truppen massakrierte Zivilisten werfen ein denkbar schlechtes Licht auf die militärische Führung des Einsatzes. Aus dem angeblich ersten rein humanitär motivierten Militäreinsatz der jüngeren Geschichte droht ein endloser Kleinkrieg zu werden, in dem die UN-Truppen ohne erkennbares Ziel und Konzept kräftig mitmischen. Nicht wirklich dabei, aber doch mittendrin hockt die Bundeswehr, weiträumig abgeschirmt vom Kriegsgeschehen, ihres praktischen Auftrages völlig verlustig gegangen, und spielt im wahrsten Sinne „Mensch ärgere dich nicht“. Wenn alles gut geht, war ihre Anwesenheit für die Somalis bedeutungslos, für den Nachschub der Truppen mangels Masse ein Witz, aber für die innenpolitische Auseinandersetzung ein voller Erfolg. Wenn nicht noch ein Mannschaftswagen auf eine Mine fährt, wäre das eigentliche Ziel der Bundeswehr und ihres Ministers, möglichst unauffällig und ohne eigene Verluste Einsatzbilder aus einem exotischen Land liefern zu können, voll erreicht.
Tatsächlich zeigt der UN-Einsatz in Somalia das gesamte Dilemma der Interventionspolitik der Weltorganisation. Es fehlt an Struktur, Geld und Autorität, um solche Einsätze erfolgreich durchführen zu können. Alle Erfahrung seit Aufhebung der Blockade zwischen den beiden Supermächten zeigt, daß die UNO noch weit davon entfernt ist, Weltinnenpolitik auf einer demokratisch legitimierten Basis durchführen zu können. Statt bei der Etablierung solcher Strukturen mitzuhelfen, nutzt die Bonner Koalition die Schwäche der Weltorganisation zur Durchsetzung ihres eigenen Normalisierungsprogramms. Sowenig wie die Bundeswehr in Somalia den Somalis helfen soll, unterstützen deutsche Initiativen eine Reform der UNO. Ist erst der Sitz im Sicherheitsrat eingenommen, kann durchaus alles bleiben, wie es ist. Noch ein paar Einsätze wie der in Somalia, eine Fortschreibung des Chaos am East River – und Rühe ist da, wo er von Beginn an hinwollte: er kann den Marschbefehl ohne die höheren Weihen eines UNO-Einsatzes ausstellen. Jürgen Gottschlich
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