■ Die Bundesregierung hält am Kronzeugengesetz fest: Ein dumpfes Signal
Ohne viel Aufhebens hat sich die Bonner Koalition entschieden, die gescheiterte Kronzeugenregelung zu verlängern. Ein Gesetz, das noch 1989 auch innerhalb der Regierungsparteien Anlaß für verbissene rechtspolitische Grundsatzdebatten gab, wird nun quasi en passant über die parlamentarische Bühne geschoben. Die liberale Justizministerin bekundet immerhin ihren Unmut – und findet sich ab. Seinerzeit bildete sich eine Mehrheit für die auch von konservativen Rechtsprofessoren verdammte Regelung erst unter dem Eindruck schwerster Kommandoaktionen der RAF. Heute – die Untergrundgruppe hat den bewaffneten Kampf für beendet erklärt – bedarf es einer derart aufgeheizten Atmosphäre nicht mehr. Die Bereitschaft, Hand an den Rechtsstaat zu legen, nimmt zu. Die Entscheidung des Parlaments unterstreicht den Trend, den die Debatten über das Asylrecht oder den großen Lauschangriff vorgeben.
Ein Mörder kann sich nach dem Wortlaut der Kronzeugenregelung mit noch „rauchendem Colt“ der Staatsmacht stellen und anschließend mit drei Jahren Haft davonkommen, wenn er nur umgehend seine Komplizen verrät. Das ist für sich schon ein Skandal. Der Skandal verbindet sich mit dumpfer Denkfaulheit, wenn man glaubt, mit dem Gesetz ausgerechnet der real existierenden RAF beikommen zu können. In den vergangenen dreieinhalb Jahren hat die Regelung kein einziges Attentat verhindert. Sie hat einen bedauernswerten „Zeitzeugen“, Siegfried Nonne, den angeblichen Mitwisser am Herrhausen- Anschlag, aufs Tapet gelockt. Wie froh wären alle, die auf ihn hereinfielen oder hereinfallen wollten, wenn sie ihn nur wieder los wären. Die Kronzeugenregelung verfestigt auf fatale Weise das Urteil, das sich jedes RAF-Mitglied gebildet hat, bevor es in den Untergrund ging: Dieser Staat hält alles für käuflich, auch die persönliche Überzeugung. Deshalb muß der Versuch scheitern, die RAF mit Hilfe des Angebots zum Verrat zu spalten. Das Gesetz trägt zur ideologischen Verhärtung derer bei, die es angeblich erreichen will.
In den „Genuß“ der Kronzeugenregelung sind in den vergangenen Jahren jene in der DDR untergetauchten RAF-Spätheimkehrer gekommen, die nach eigenem Bekunden auch ohne dieses Gesetz reinen Tisch gemacht hätten. Für seit zehn Jahren „resozialisierte“ RAF-Aussteiger war die Regelung nicht gemacht und nicht gedacht. Die Anwendung des Gesetzes auf die falschen Täter war aus der Not geboren, und sie wird sich nicht wiederholen. Sie war richtig, weil das Strafgesetzbuch einen anderen Paragraphen nicht bereithält, der es bei Mord erlaubt, von lebenslanger Freiheitsstrafe abzusehen. Doch das ist eine andere – dringend notwendige – Diskussion. Gerd Rosenkranz
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