Die Bundesliga beginnt: Im Jahr des Trainers
Klinsmann, Klopp & Daum: Diese Saison schaut alles auf die schillernden Typen am Spielfeldrand. Und der Bäckerssohn aus Schwaben ist längst schon Hauptfeind der Antireformer.
Udo Lattek hat mal wieder ins Schwarze getroffen. „Ruck Zuck ist er weg!“ steht auf der Titelseite der Sportbild unter einem Foto von Jürgen Klinsmann – so kündigt das Blatt ein Interview mit dem Trainerguru aus dem Sonntagmorgenprogramm an. Deutlicher hat noch niemand ausgesprochen, was die Fußballnation zu denken scheint. Natürlich glauben alle, dass der FC Bayern wieder mit riesigem Vorsprung Deutscher Meister wird. Fragt man jedoch nach Klinsmann legen sich die Gesichter in besorgte Falten. „Der wird sich noch wundern“, raunen die Berichterstatter in den Presseräumen der Stadien, und immer öfter wird vermutet, dass vielleicht doch Schalke Meister werde. Die Messer werden gewetzt für das große Klinsmann-Dizzing, die Vorfreude auf das zu erwartende Theater ist allgegenwärtig. Die Sportbild hat mit einer Fotomontage schon einmal dargestellt, wie schnell der Ex-Stürmer alt, grau und faltig werde als Bayern Trainer.
Dabei ist Klinsmanns Projekt mit dem erstarrten Münchner Großklub noch viel aufregender als seine Revolution beim DFB in den beiden Jahren vor der WM 2006. Klinsmann traut sich, was vor ihm noch niemand wagte. Er bekämpft das Gift, das das Fußballdenken der Nation verseucht: den bedingungslosen Glauben an die Allmacht des Geldes. „Ich akzeptiere das Argument der finanziellen Diskrepanz zu den Großen nicht“, sagt er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung in Anspielung auf die vermeintliche Chancenlosigkeit deutscher Klubs in der Champions League, die seine Vorgesetzten regelmäßig beklagen. „Letztlich ist die Atmosphäre, ist die Arbeitsphilosophie, die ein Verein entwickelt, wichtiger als ein 100-Millionen-Euro Transfer“. Das sitzt. Solche Sätze rauben Polterern wie Lattek, der Springer-Presse, der Mehrheit der Deutschen Fußballgurus und den Großklubs, die mehr Geld aus der DFL herauspressen wollen, ihr zentrales Argument. Das grenzt an Blasphemie.
Dabei würde es dem Spiel so gut tun, wenn die Leistungen der Akteure nicht mehr an ihrem Gehalt gemessen werden, wenn die Champions League-Teilnehmer sich nicht mehr hinter dem Argument der übermächtigen Finanzkraft irgendwelcher Gegner verstecken könnten und Fans aufhören würden zu schreien: „Du verdienst Millionen, also reiß Dir den Arsch auf!“ Es ist eine Seuche. Weil sich nun alle fürchten, dass man ihnen die Lizenz zum Pöbeln rauben könnte, wünschen nur noch Bayern-Fans Klinsmann Erfolg. Und selbst unter den Anhängern gibt es welche, die Klinsmann überaus skeptisch sehen. Längst ist es daher en vogue, andere Meistertipps abzugeben, das mit dem Bäckersohn aus Schwaben könne unmöglich gut gehen, glauben die Missgünstigen.
Aber Schalke Meister? Kann man diesem mit Gazprom liierten Klub die Erfüllung eines solch großen Traumes wünschen? Wohl kaum. Der arme Georgier Levan Kobiashvili, der seine Frau und seinen Sohn aus Angst vor russischen Angriffen aus Tiflis herausgeholt hat, der sich um seine Eltern sorgt, muss Tag für Tag mit dem Gazprom-Schriftzug auf der Kleidung herumlaufen. Zur Erinnerung: Russlands Präsident Dimitri Medwedew, der die Bombardierung Georgiens anordnete, war zuvor Aufsichtsratsmitglied in dem Staatskonzern. Unfreiwillig wirbt Kobiashvili mit seinem königsblauen Trikot auch für Medwedjew, den Mann der das Leben seine Familie bedroht. Eine furchtbare Fußnote. Nach den olympischen Spielen wird auch die Bundesliga politischer.
Da bietet sich eine Chance für Borussia Dortmund, Schalke wieder zu überholen in der Beliebtheitsrangliste der Liga. Fernsehbundestrainer Jürgen Klopp hat eine gelb-schwarze Euphorie entfacht. Einigen geht Klopp zwar mittlerweile gehörig auf die Nerven. Die Mehrheit des Volkes liebt jedoch den Mann mit dem Talent zum Entertainment. Die kommende Saison wird ein Trainerjahr werden.
Martin Jol soll dem vandervaartlosen HSV neues Leben einhauchen, Fred Rutten den eindimensionalen Kraftfußball von Schalke 04 mit neuer Struktur veredeln, Leverkusens Bruno Labbadia könnte sich als größtes deutsches Trainertalent profilieren, während einer wie Armin Veh mit der Stuttgarter Meistermannschaft vielleicht gegen den Abstieg spielt. Und Christoph Daum hat nach Jahren des Irrsinns wieder zu sich gefunden. Zurück in der Bundesliga wirkt er plötzlich souverän, kritikfähig und sogar ehrlich. Wenn man sieht, wie der Mann als Teil der Bundesliga aufblüht, wird erst klar, wie sehr er gelitten hat in seinen 20 Monaten im unwürdigen Abseits der Zweiten Liga.
Ja und die Stars? Sie werden im Schatten ihrer Vorgesetzten stehen. Franck Ribéry ist verletzt und wird in der Bundesliga Kräfte für die Champions League sparen, Luca Toni kommt langsam in ein Alter, in dem die Warnleuchten des Körpers zu blinken beginnen, van der Vaart ist weg, und an frischem Glanz kam nicht viel dazu. Der Schalker Neuzugang Orlando Engelaar ist ein solider Spieler, der der Mannschaft hilft, der die Menschen aber niemals ribérymäßig verzücken wird. Sein Teamkollege Jefferson Farfan ist jetzt erstmal verletzt, und die beiden Wolfsburger Millioneneinkäufe Andrea Barzagli und Cristian Zaccardo sind Defensivleute. Und sie spielen eben in Wolfsburg.
Mit Wolfsburg wären wir am Ende wieder beim Geld. Gemeinsam mit den Hoffenheimern ist der VfL zum Hauptfeind der Traditionalisten und Antireformer geworden, die auch Klinsmann mit dieser Mischung aus Neid und heimlicher Bewunderung betrachten. In der Fußballabteilung von VW verkörpert wenigstens noch Felix Magath die Elemente Stallgeruch und Alte Schule, Ralf Rangnick probiert bei der mit dem Geld des Milliardärs Dietmar Hopp ausgestatteten TSG Hoffenheim hingegen etwas wirklich Neues aus.
Die Idee, die die Bundesliga einst als Konzeptfußball eroberte, nämlich flache Hierarchien, die Einforderung der Innovationskraft aller Beteiligten und der Blick in andere Gesellschaftsbereiche, wurde vom Spielfeld auf den gesamten Hoffenheimer Klub übertragen. Natürlich werden sie gehasst werden – auch hier ist das Geld wieder Gift – spannend wird das Projekt allemal. Doch ins größte Abenteuer stürzen immer noch die Bayern mit ihren Buddhas und all dem anderen Kram, den Klinsmann mitbringt. Man kann nur ahnen wie verzweifelt Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge gewesen sein müssen, als sie sich zu diesem Schritt entschlossen. Jetzt sind sie selbst Reformer. Herzlich Willkommen in einer neuen Zeit.
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