: Die „Bremer Verrückten“ siegen in Emden
Beim 13. Internationalen Filmfest von Emden gewann der Bremer Film „Verrückt nach Paris“ den Publikumspreis. „Goethe light“ von „Deckname Dennis“-Regisseur Thomas Frickel bot die Wurst zum Film. Und der neue Trend des Hindi-Kommerzfilms wurde mit spontanen Chören gefeiert
Bei der Berlinale konnte man es noch nicht sicher sagen – da waren bei den beiden Vorführungen von „Verrückt nach Paris“, dem Spielfilm, den Eike Besuden und Pago Balke mit drei Laienschauspielern vom Blaumeier Atelier als Hauptdarstellern gedreht haben, zu viele geladeneGäste aus Bremen anwesend, die wohl jeden Meter belichteten Film aus ihrer Heimatstadt bejubelt hätten.
In Emden musste der Film sich nun in einem Wettbewerb mit internationalen Produktionen durchsetzen, und dies ist ihm grandios gelungen. Gegen die Qualitäten des Films, der seine drei Protagonisten nicht als Behinderte ausstellt, sondern sie natürlich und anrührend agieren lässt, wiegen seine handwerklichen Defizite (wie die holperige Dramaturgie) beim Publikum offenbar gering. Bei der Preisverleihung gab es Standing Ovations, und Eike Besuden bedankte sich auf Plattdeutsch.
Die Konkurrenz war sehr stark. Zwischen 14 Filmen musste sich das Publikum entscheiden, darunter gleich zwei Roman-Adaptionen: die aufwändige Verfilmung von Harry Mulischs Roman „Die Entdeckung des Himmels“ aus den Niederlanden und eine schöne britische Komödie mit viel Pub-Atmosphäre und trinkfreudigen alten Männern – „Last Orders“ nach dem Roman von Graham Swift.
Seit Jahren gibt es in Emden eine Reihe unter dem Titel „The British Are Coming“, und dem Regisseur und Schauspieler Kenneth Branagh wurde eine kleine Werkschau gewidmet. Wenn man nach den vorgestellten Filmen urteilen darf, ist dies ein guter Jahrgang für Filme aus Großbritannien. Fast alle Genres und Stilformen, für die das britische Kino berühmt ist, waren mit gelungenen Beispielen vertreten. „Sexy Beast“ von Jonathan Glazer ist etwa ein spannender, fast zynischer Thriller im Stil von „Good Day Friday“ oder „Get Carter“, in dem ausgerechnet Ben „Gandhi“ Kingsley den vielleicht bedrohlichsten und durchgeknalltesten Kino-Bösewicht der Saison spielt.
Ein realistisch wirkendes Sozialdrama ist „Gas Attack“ von Kenny Glenaan, in dem beängstigend glaubwürdig durchgespielt wird, was passieren könnte, wenn rechtsradikale Terroristen eine Asylantensiedlung mit Milzbrand verseuchen. Das britische Kino hat immer schnell auf politische und gesellschaftliche Probleme mit guten Geschichten reagiert, die zugleich unterhaltsam und provokant sind. So auch in „Mrs. Calticot‘s Cabbage War“, in dem eine Hausfrau, die von ihrem Sohn ins Altersheim gesteckt wird, gegen die unmenschlichen Verhältnisse dort rebelliert und eine erfolgreiche sowie sehr komische Revolte gegen die Heimleitung anzettelt.
Der neueste Trend in England sind Filme aus Bollywood, und auch hier sind die Emder mit dabei. Bei einer Reihe mit Filmen des Hindi-Kommerzkinos wurden die Stuhlreihen zwar nicht ganz voll, aber dafür ging das Publikum um so begeisterter mit. Inder aus ganz Norddeutschland waren nach Emden gepilgert, um die grandios kitschigen Schmachtfetzen aus ihrer Heimat zu sehen, und vor der Vorstellung des passend betitelten „Dil Se – Aus ganzem Herzen“ sang ein spontan entstandener Chor von etwa 20 jungen Indern dem Publikum die Hits des Films schon mal live als temperamentvolle Overtüre vor.
Einen originellen Werbegag gab es noch bei „Goethe Light“ von Thomas Frickel. Wie schon in seinem Erfolgsfilm „Deckname Dennis“ inszeniert der Regisseur das reale Leben halbdokumentarisch mit sehr komischen Ergebnissen. Hier hat er einen Doppelgänger des deutschen Dichterfürsten gefunden, der als Osteuropäer kein Deutsch spricht, dafür aber Goethe verteufelt ähnlich sieht.
Für die Feierlichkeiten des Goethe-Jahres wurde mit dieser Attraktion eine „Rent A Goethe – Event Agentur“ gegründet. Deren Aufstieg und Fall dokumentiert der Film mit den Gaststars Udo Lindenberg, Konrad Kujau und Bernhard Vogel. Und weil die Bratwurst genauso deutsch wie Goethe ist, werden beide gebührend in diesem Film gefeiert. Hinterher konnte man sich dann eine echte Thüringer Wurst holen und damit neben dem Goethe-Double fotografieren lassen. Die Wurst zum Film!
Wilfried Hippen
Die prämierten Filme, also auch „Verrückt nach Paris“ – der erst im September in‘s Kino kommt – sind noch bis Mittwoch in Emden zu sehen. Das volle Programm steht unter www.filmfest-emden.de
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