■ Die Befreier werden hinausgeekelt: Beschämender Undank
Die Rote Armee in Berlin – das war nicht nur Blockade und Berlin-Ultimatum. Die sowjetischen Soldaten waren vor allem die Befreier Berlins vom Faschismus. Sie starben zu Hunderttausenden für diese Befreiung, zu der die Deutschen selbst nicht fähig waren. Die sowjetische Armee brachte anschließend das zivile Leben wieder in Gang, sorgte für die Verpflegung der Bevölkerung und baute eine Selbstverwaltung auf. Der sowjetische Stadtkommandant Bersarin, dessen Namen der Senat gänzlich von den Straßenschildern tilgen möchte, sorgte dafür, daß es keine Rache an den Besiegten gab – trotz der Greuel der deutschen Mordbrenner in den eroberten Gebieten. Die drei Westalliierten kamen erst Monate später. Allein dies macht einen ehrenvollen Abschied der Roten Armee zur Pflicht – besonders weil auch das Ende der Besatzungszeit Ergebnis der sowjetischen Reformpolitik ist. Um so peinlicher die seit Monaten währende Ausgrenzung. Das giftige Gezänk ist ein Zeichen, daß der kalte Krieg in den Köpfen von Politikern in Bonn und Berlin noch rumort. Es ist deshalb nicht überraschend, daß die zu Recht verärgerten Russen ungeduldig wurden und sich lieber selbst eine Parade ausrichten, als weiter in jener Schmuddelecke stehenzubleiben. Der politische Eklat ist in letzter Minute abgewendet worden, aber den politischen Schaden hat auch Berlin, selbst wenn die Entscheidung über die Verabschiedung beim Bundeskanzler liegt und es auch die Westalliierten sind, die bei einer gemeinsamen Verabschiedung mauern. Auf fehlenden Handlungsspielraum konnte sich der Senat nicht herausreden. Er hätte im Vorfeld mehr tun können, die Rolle der Roten Armee zu würdigen, gerade weil Amerikaner, Franzosen und Engländer mit Ehrungen überhäuft werden. Die den Russen nun aufgezwungene trotzige Demonstration der Stärke und ein kalter Krieg auf diplomatischer Ebene aber sind für Berlin zum Abschied mehr als beschämend. Gerd Nowakowski
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