Die Band Silbermond in London: Gib mir'n kleines bisschen Unsicherheit
Vor ihrer ersten Tour seit zwei Jahren spielt sich die Deutschrockband Silbermond in London warm. Nicht die große Karriere, der Kitzel des Clubs lockt sie.
LONDON taz | Martin hat schon viel erlebt. Rockbands, Punkbands, Indiebands, noch mehr Rockbands und vor zwei Jahren auch die Einstürzenden Neubauten. „Die haben die Nase ganz schön hoch getragen“, sagt Martin und pfeift dann ein abfälliges Pff durch seine renovierungsbedürftigen Zähne. Martin trägt große Ringe in Ohr und Nase, ein schwarzes Undertones-T-Shirt und die längst ergrauten Haare oben sehr lang und an den Seiten sehr kurz.
Außerdem schleppt er den Bands die Verstärker und Instrumente auf die Bühne. Denn Martin ist Stage Hand, früher nannte man das Roadie. Hier in der Garage, einem Londoner Rockclub, ist er eine Institution. Heute schleppt er für Silbermond. „Das sind nette Leute“, sagt Martin.
Die netten Leute sind nach London gekommen, „um sich den Traum eines jeden Musikers zu erfüllen“, wie Gitarrist Thomas Stolle es formuliert. Zumindest einmal wollen sie in der Stadt auftreten, in der die Rolling Stones gegründet wurden, die wichtigsten Songs der Beatles entstanden sind und immer noch das Herz der Popmusik schlägt. „Davon kann ich mal meinen Kindern erzählen“, sagt der musikalische Kopf von Silbermond und lächelt verlegen.
Nächtliche Ankunft
London ist die letzte Station einer kleinen Europatournee. In den vergangenen Tagen hat die aus Bautzen stammende Band in Paris, Amsterdam und Brüssel gespielt. Am Vortag erreichte die Olympische Flamme unter großer öffentlicher Anteilnahme die Hauptstadt des britischen Empire, die nahezu zeitgleiche Ankunft von Silbermond findet dagegen zu nachtschlafender Zeit und weitgehend unbemerkt statt.
Musiker und andere Mitglieder des Tourtrosses quälen sich aus dem Nightliner, einem großen grauen Bus, der zugleich Transportmittel und Schlafplatz ist. Die Schnarcher liegen vorne, die anderen hinten, zu wenig geschlafen haben sie alle. Rollkoffer scheppern über das Londoner Pflaster, vor der einzigen Dusche bildet sich eine kurze Schlange. Der Bereich, der Band und Crew zur Verfügung steht, um sich auf den Auftritt vorzubereiten, besteht aus zwei etwa acht Quadratmeter großen Zimmern.
Den einzigen Schreibtisch hat der Produktionsleiter okkupiert, auf der einzigen Couch versucht der Kameramann, der die Tour für eine mögliche DVD dokumentiert, ins WLAN zu kommen, in einer Ecke steht ein kleiner Tisch mit pappigem Brot und einer Schüssel Hummus, daneben ein Kühlschrank mit Schinken und Bier. Dazwischen liegen Taschen und Koffer, aus denen kauernde Menschen Waschzeug und Unterwäsche wühlen. „Kleines Backstage, aber alles ganz entspannt“, sagt Sängerin Stefanie Kloß, „so haben wir angefangen.“
Der erfolgreichste Mainstream
Heute sind Silbermond eine der erfolgreichsten Mainstreamrockbands in Deutschland. Ihre ersten drei Alben wurden allesamt mit Platin prämiert, die letzten beiden schafften es 2006 und 2009 jeweils auf Platz eins der deutschen Charts. Auch das aktuelle Werk „Himmel auf“ stieg Ende März ganz oben in den Hitlisten ein, nur geschlagen vom zeitgleich veröffentlichten Unheilig-Album. In den letzten Jahren haben Silbermond verlässlich die großen Konzerthallen in Deutschland ausverkauft. Im Herbst werden sie zum ersten Mal versuchen, die riesigen Mehrzweckarenen des Landes zu füllen.
Deshalb dient die Europareise im Bus nicht nur der Erfüllung eines Jugendtraums, sondern auch dazu, sich auf die große Tournee vorzubereiten. Dieses „Warmspielen“, wie es die Band nennt, sollte, das ist ein willkommener Nebeneffekt der Auslandsauftritte, unter Ausschluss einer allzu kritischen Öffentlichkeit stattfinden. Schließlich stand die Band seit zwei Jahren nicht mehr auf einer Bühne, und „wenn du jahrelang nicht Ski gefahren bist“, erklärt Kloß, „dann stürzt du dich ja auch nicht gleich die schwarze Piste runter“.
Die Aufwärmkonzerte finden in kleinen Clubs statt. Ungefähr 250 Fans kamen in Brüssel, 350 in Paris, über 400 in Amsterdam. Auch wenn die meisten davon Auslandsdeutsche waren, sind das Zahlen, über die sich die Band freut. „Ich habe mich innerlich darauf vorbereitet, vor 20 Leuten zu spielen“, sagt Kloß.
Die Gefahr besteht in London überhaupt nicht. Die Garage ist ausverkauft, und während hinter dem Club noch die Rollkoffer klappern, warten vorne bereits die Ersten auf den Einlass. Am Nachmittag ist die Schlange auf gut hundert Menschen angewachsen und Manager Ulf Wenderlich zeigt auf seinem Smartphone die Aufnahmen von dem unerwarteten Menschenauflauf.
Unerwarteter Andrang
So stolz Wenderlich auf den Erfolg der Clubtour ist, so großen Wert legt er darauf, dass Silbermond keine internationale Karriere anstreben. „Die englische Musikbranche wartet nicht auf deutsche Bands“, sagt Wenderlich, der die damalige Schülerband vor 13 Jahren entdeckte. Seitdem hat er das Quartett zu einem deutschen Topact aufgebaut, der geschickt deutsche Befindlichkeiten in mehrheitsfähige Rockmusik umsetzt. Ihre Nummer-eins-Single „Irgendwas bleibt“ wurde 2009 gar zum Soundtrack der deutschen Verunsicherung in der Krise: „Gib mir ’n kleines bisschen Sicherheit“, wird Kloß auch an diesem Abend zusammen mit dem Publikum singen, „in einer Welt, in der nichts sicher scheint.“
2006, als das zweite Silbermond-Album „Laut gedacht“ an die Spitze der deutschen Charts schoss, gab es sogar einmal das Angebot der Plattenfirma, die Band mit englischsprachigen Versionen ihrer Songs im Ausland zu platzieren. Ein Weg, den später Tokio Hotel mit großem Erfolg gegangen sind. Aber Silbermond, erinnert sich Johannes Stolle, haben das Angebot „mal durchgesponnen und schnell wieder verworfen“.
Der Bassist und Bruder von Gitarrist Thomas ist der zeichnungsberechtigte Prokurist der Firma, die die Geschäfte der Band regelt, die aber, so sagt er, „streng basisdemokratisch“ organisiert ist. In den bandinternen Diskussionen, erzählt Johannes Stolle, wäre „sofort klar geworden, dass es uns fremd wäre, die Songs ins Englische zu übersetzen“. Zwar hat die Band einst in Bautzen mit englischen Texten unter dem Namen Jast begonnen, aber an das damalige „Pseudoenglisch“ erinnert sich nicht nur Schlagzeuger Andreas Nowak mit Grausen: „Das war nicht so der Bringer.“
Am Abend dann ist die Garage tatsächlich brechend voll und unter den 600 Fans sind sogar ein paar Engländer. Vor allem aber wird Deutsch gesprochen. Die große Mehrheit ist kaum volljährig und weiblich, es scheint, als hätten sich alle deutschen Au-pair-Mädchen von London versammelt. Jedenfalls kann das Publikum flächendeckend die Refrains der Silbermond-Songs mitsingen.
Auch Carina Jirsch hat einmal als Au-pair angefangen. Dann ist sie in London hängen geblieben, hat in der Garage hinter der Theke gearbeitet, später die Konzerte in dem Club organisiert. Mittlerweile arbeitet die Deutsche schon seit Jahren für den Konzertveranstalter Mean Fiddler und glaubt, dass Bands aus ihrer alten Heimat gute Chancen hätten auf der Insel. Bands wie die Beatsteaks oder BossHoss hätten bei kleinen Tourneen durch Großbritannien bereits Clubs in Birmingham oder Glasgow gefüllt. Und Scooter, erzählt sie, haben zwei Wochen zuvor mehr als zweitausend feierwillige Londoner begeistert. „Wenn deutsche Bands hier spielen“, sagt Jirsch, „dann sagen die Engländer immer: Die sind doch viel besser als unsere Indiebands.“
Abgeklärt und bodenständig
Aber alle diese Bands singen Englisch. Oder erfüllen wie Scooter gewisse deutsche Klischees, die zu bedienen auch Bands wie Kraftwerk, Einstürzende Neubauten und zuletzt Rammstein gelungen ist. Von ähnlichen Erfolgen träumen Silbermond nicht einmal, dazu ist die Band, die mittlerweile in Berlin lebt, viel zu abgeklärt und bodenständig. Denn mit ihren deutschen Texten und ihrer international kompatiblen Rockmusik sind sie eben gerade nicht exotisch genug, um im englischsprachigen Ausland zu reüssieren.
Gefragte Botschafter
Diese Kombination aber macht sie zum perfekten Botschafter deutscher Kultur. Schon 2006 schickte das Goethe-Institut die Band auf Skandinavientour, am Tag nach dem Konzert in der Garage treten Silbermond im Goethe-Institut London auf. Das feiert 50-Jähriges und die Wiedereröffnung seiner renovierten Räume im Museumsviertel. Der kleine Saal, in dem der Akustikgig stattfinden soll, ist überfüllt. Vor der Tür warten noch mal 300 brav in einer Schlange, die sich die Exhibition Street hinunter zieht. Spontan erklärt sich die Band bereit, ein zweites Kurzkonzert anzuhängen.
Die Mitarbeiter des Goethe-Instituts sind sichtlich erfreut über den regen Zulauf. Beim etwas steifen Treffen mit der Band wird nur halb im Scherz die Hoffnung geäußert, gleich nach dem Auftritt möge das begeisterte Publikum die Gelegenheit nutzen und sich zahlreich für die Deutschkurse einschreiben. „In dem Moment, in dem man im Ausland spielt“, hat Thomas Stolle schon am Tag zuvor gesagt, „ist man automatisch irgendwie Botschafter der deutschen Sprache.“ Tatsächlich ist der Anteil der Einheimischen im Goethe-Institut deutlich höher als in der Garage. Trotzdem gilt, was der Gitarrist auch sagt: „Wir sind sehr zufrieden mit dem, wie es ist. Wir träumen nicht so groß.“
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