■ Die Asienkrise hat gezeigt: Reine Exportorientierung ist zu riskant. Gerade Entwicklungsländer brauchen geschützte lokale Märkte: Alternativen zur „Jurassic Company“
Vor genau einem Jahr wurde der thailändische Baht zum ersten Mal abgewertet. Dies war der Beginn einer verheerenden Währungs-, Finanz- und schließlich Wirtschaftskrise, die ganz Südostasien erfaßte. Diese Krise zeigt anschaulich, wie es Entwicklungsländern ergeht, wenn sie sich auf die Spielregeln der „Global Jurassic Company“ einlassen – auf die Regeln jener dinosaurierhaften Institutionen, die uns zu überzeugen versuchen, daß unser aller Wohl von ihrem ausgeprägten Gewinnstreben im Weltmaßstab abhängt.
Die folgenden Überlegungen sind der Versuch, aus dem bislang hermetisch gesicherten Gefängnis der Vorstellung von der „einen Wirtschaft“ auszubrechen und sich zu Alternativen einer „multiplen Wirtschaft“ vorzutasten. Die multiple Wirtschaft bestünde aus mehreren Wirtschaftssystemen innerhalb eines Landes, die nach unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten funktionieren.
Das Problem der „einen Wirtschaft“ läßt sich an der gegenwärtigen Wirtschaftskrise in Ostasien sehr anschaulich darstellen. Sie entspricht im Verlauf anderen Krisen, besonders der Finanzkrise Mexikos im Jahr 1994. Vordergründig handelt es sich bei solchen Krisen zunächst um eine Export- oder Währungskrise. In der Regel steht dahinter ein enormes Volumen labiler, kurzfristiger Auslandskredite. In Indonesien machen sie 170 Prozent des Jahresbruttoinlandsprodukts aus.
Zunächst sinken die Kurse von Aktien und Währung, Kapitalflucht setzt ein. Die lokalen Firmen haben Schwierigkeiten, ihre Auslandskredite zu bedienen, es kommt zu Massenentlassungen. Auf Intervention des Internationalen Währungsfonds (IWF) beginnt die Regierung einen harschen Sparkurs, marode Banken müssen geschlossen und die Kapitalmärkte für das Ausland geöffnet werden.
Der Exportsektor erholt sich mit ausländischem Kapital, denn daran hat die internationale Gemeinschaft das allergrößte Interesse: Nur die Exporteinnahmen sichern die Rückzahlung der Schulden. Von der Wiederbelebung des Exportsektors profitert (neben den ausländischen Investoren) allenfalls die heimische Mittelschicht. Ihre wieder gewachsene Kaufkraft führt zu einem überproportionalen Anstieg der Konsumgüterimporte. Die Verbindung dieser Export-Import-Wirtschaft zur lokalen Wirtschaft aber bleibt extrem schwach.
Die Wirtschaftskrisen, ob in Mexiko oder Indonesien, werden ausgelöst von der „Superstruktur“ der Großbanken und Großunternehmen, die so gerne als Inkarnation des Fortschritts bezeichnet werden, sowie ihren Helfern in den Regierungen. Leidtragende aber sind die einfachen Leute und die lokale Wirtschaft, denn ihr Input (Maschinen, Energie, Kredite) verteuert sich, während die Kaufkraft der Kunden abnimmt. Deshalb müßte die Exportwirtschaft in dem Sinne autonom gestaltet werden, daß Krisenverluste von den beteiligten nationalen und internationalen Akteuren getragen werden: Wer an den Gewinnen partizipiert, muß auch für die Verluste verantwortlich gemacht werden.
Der krisenanfälligen „Superstruktur“ muß ein Wirtschaftssystem gegenübergestellt werden, das die Grundversorgung im eigenen Land sicherstellt. Angsichts der Kapitalknappheit der Entwicklungsländer und der Abhängigkeit von ausländischem Kapital bleibt nichts anderes übrig, als auf organisatorische und institutionelle Veränderungen zu setzen. Die Krise in Asien kann dabei als Lehrstück dienen für alle Entwicklungsländer, die einen ähnlichen Weg wie die asiatischen Tiger gehen wollen (und gemäß der herrschenden Wirtschaftsphilosphie auch gehen sollen).
In vielen Entwicklungsländern organisieren sich die Großunternehmen der Exportwirtschaft zunehmend autonom, was Input und Output betrifft. Sie produzieren vorrangig für den devisenstarken internationalen Markt. Bestenfalls in zweiter Linie sind sie daran interessiert, den heimischen Bedarf zu decken. Daher ist die Eigenversorgung, die Subsistenzwirtschaft, es wert, als eigenes Wirtschaftssystem gefördert zu werden. Die bisherigen Versuche, diesen Bereich entwicklungspolitisch zu fördern (oder meist nur zu befrieden) zeitigen fragwürdige Erfolge. Dieser Bereich muß von seinem sozialen, karitativen Touch befreit und als Wirtschaftsbereich ernst genommen werden.
Das zentrale Anliegen der multiplen Wirtschaft muß die Grundversorgung der Bevölkerung sein. Hierfür müssen nicht nur effiziente Organisationsformen der Produktion, sondern auch der Eigentumsverhältnisse geschaffen werden, beispielsweise durch Landreform. Es müssen wieder lokale Märkte geschaffen werden, auf denen die Preise auf die Kaufkraft der lokalen Gemeinschaft und nicht auf den Weltmarkt abgestimmt sind.
Im Gegensatz zum Exportsektor sollten im Bereich Grundversorgung – vor allem Nahrung, Kleidung, Wohnen, Gesundheit, Transport und auch Telekommunikation – schrittweise die Importgüter durch lokal produzierte Güter ersetzt werden. Dazu muß neben der Subsistenzproduktion auch der informelle Sektor, die Schattenwirtschaft, unterstützt werden, um ein sichtbarer und akzeptierter Teil der Grundversorgung zu werden.
Einige Schritte auf dem Weg zur multiplen Wirtschaft könnten zugleich auch einen Beitrag zur Verhinderung oder zumindest Linderung künftiger Wirtschaftskrisen sein. Dazu gehört ein Monitoring beziehungsweise die Regulierung der kurzfristigen Kapitalbewegungen mit dem Ausland sowie der Weltpreise für Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte. Einige Autoren haben errechnet, daß eine Preisveränderung der agrarischen Exportprodukte der Entwicklungsländer um fünf Prozent eine Summe ausmacht, die dem Gesamtvolumen privater und öffentlicher Entwicklungshilfe des Westens gleichkommt.
Bei all diesen Überlegungen steht die Einsicht im Hintergrund, daß internationale Güterbewegungen nur Sinn machen, wenn sie auch Wohlstand schaffen. Schließlich sollte man sich an den Ökonomen John Maynard Keynes erinnern, der die Berg-und-Tal-Fahrten der Geschichte auf die Tatsache zurückführte, daß ein gesellschaftliches System, das ökonomisch effizient ist, moralisch ineffizient ist. Die babylonische, globalisierte Wirtschaft führt Staaten zu großem Überfluß und Komfort und läßt sie dann aus moralischen Gründen kollabieren. Das fundamentale Problem besteht darin, ein gesellschaftliches System zu finden, das ökonomisch effizient und moralisch vertretbar ist. Waldemar Kasprzik
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