: Die Armen gegen die Reichen
An Superlativen wird nicht gespart: In der Föderalismusreform II geht es schließlich um Hunderte von Steuermilliarden
VON ULRIKE HERRMANN UND DANIEL SCHULZ
Die Fronten stehen. Arme gegen reiche Bundesländer. Jeder macht seine eigene Rechnung auf. Baden-Württembergs Finanzminister Gerhard Stratthaus (CDU) hat eigens ein Gutachten bestellt, damit er beweisen kann, dass die Finanztransfers an die armen Länder „Deutschlands Wachstumshemmnis Nummer eins“ seien. Der Konter ließ nicht auf sich warten. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) empörte sich, dass der Bund vor allem Infrastruktur im Süden gefördert habe: „Diese Bevorzugung muss aufhören.“
Gekämpft wird um Hunderte von Steuermilliarden. Morgen beginnt die zweite Stufe der Föderalismusreform. In erlauchter Runde: Alle 16 Ministerpräsidenten wollen kommen sowie die vier Bundesminister Steinbrück (SPD), Schäuble (CDU), Zypries (SPD) und de Maizière (CDU). Außerdem sind zwölf Abgeordnete aller Parteien im Bundestag geladen. Den Vorsitzend übernehmen SPD-Fraktionschef Peter Struck und Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU).
An Superlativen wird nicht gespart: Es handele sich um eine „Herkulesaufgabe“, sagt Struck. 60 Jahre Bundesgeschichte seien zu korrigieren, sekundiert Oettinger. Bei allem Streit ist unbestritten, dass die staatlichen Finanzbeziehungen in Deutschland aberwitzig organisiert sind.
Das zeigen schon kleine Details in der „offenen Themenliste“, die Bundestag und Bundesrat der Kommission mitgegeben haben. Es klingt zunächst wenig spannend, dass die „Einführung von IT-Standards und -Systemen“ vorangetrieben werden soll. Dahinter verbirgt sich allerdings eine gravierende Schwäche des Finanzföderalismus: Jede Steuerverwaltung laboriert mit eigener Software, so lassen sich Steuerdaten kaum länderübergreifend abgleichen. Für Steuerhinterzieher ist das erfreulich.
Noch abstruser wird es dann im Großen: So ist es gängig, dass der Bund Gesetze erlässt, deren Finanzierung er weitgehend Ländern und Kommunen aufbürdet – wie etwa Sozialhilfe, Wohngeld oder Bafög. So wenig wie über ihre Ausgaben können die einzelnen Länder über ihre Einnahmen entscheiden: Der Bund beschließt die Ländersteuern – ob Erbschafts- oder Kfz-Steuer.
Die Länder haben eigentlich nur eine eigenständige Kompetenz: Sie können Kredite aufnehmen. Diese Möglichkeit wurde auch weidlich genutzt: 11 von 16 Länderhaushalten waren verfassungswidrig. Dieser Schuldenberg trägt wesentlich dazu bei, dass Deutschland jahrelang die Euro-Stabilitätskriterien von Maastricht verletzt hatte.
Im Kern geht es nun um drei große Themenkomplexe:
– Durch einen „Steuertausch“ soll versucht werden, die Finanzbeziehungen zu entwirren. So haben die Länder bereits angeboten, gegen einen „adäquaten Ausgleich“ auf die Kfz-Steuer zu verzichten. Damit hätte die Bundesregierung erstmals die Möglichkeit, ihre Steuerpolitik im Verkehrsbereich zu vereinheitlichen, denn Maut und Mineralölsteuern stehen bereits dem Bund zu. Allerdings gehört die Kfz-Steuer mit rund 9 Milliarden Euro zu den eher kleinen Posten. Schwierig dürfte es werden, die großen Brocken Einkommens- und Mehrwertsteuer zu entflechten, die bisher sowohl an den Bund als auch an die Länder fließen (siehe Interview).
– Einigungschancen bestehen beim Thema „Schuldenbremse“: Inzwischen sind viele Länder überzeugt, dass es nicht ausreicht, im Grundgesetz nur vorzuschreiben, dass die Neuverschuldung nicht die Investitionen überschreiten darf. Allerdings ist unter den Finanzministern umstritten, wie starr ein Schuldenverbot ausfallen soll.
– Bleibt als dritter Streitpunkt der Finanzausgleich, der mehr als 20 Milliarden Euro in die armen Länder schaufelt. Viel dürfte sich dort zwar nicht ändern, weil die Ausgleichszahlungen für die ostdeutschen Länder mit dem Solidarpakt II bis 2019 festgeschrieben sind. Die reichen Geberländer würden allerdings gern weniger in den Finanzausgleich einzahlen. Im Gegenzug wollen sie armen Ländern erlauben, die Höhe mancher Steuern selbst festzulegen. Kommissionsmitglied Bodo Ramelow von der Linkspartei ist alarmiert: Er befürchtet einen „ausufernden Wettbewerbsföderalismus“. Reiche Länder könnten sich niedrigere Steuersätze leisten und damit Firmen und qualifizierte Arbeitnehmer anlocken.
Bis 2009 will sich die Kommission verständigt haben, denn dann stehen Bundestagswahlen an. Die FDP ist allerdings skeptisch, ob es zu einer Einigung kommt. Deren Kommissionsmitglied Volker Wissing meint aber: „Die Erwartungen der Bevölkerung sind sehr groß. Die Politik kann kein Mäuslein gebären.“