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■ Die Arbeit verschwindet nicht. Aber die neue Arbeitswelt produziert Ungleichheiten, für die noch keine politische Sprache existiertVon Aufsteigern und Kaltgestellten

Manchmal ist es ein harter Job, Arbeit zu haben. Zum Beispiel als Berliner Taxifahrer. Der umsatzabhängige Stundenlohn liegt oft bei acht Mark netto. Das Warten auf Kunden verschlingt die meiste Zeit. Aber arbeitslos melden geht nicht, das Arbeitsamt winkt ab. Schließlich gibt es genug Droschkenunternehmer, die Fahrer suchen – eben deswegen ist der Stundenlohn gesunken. Taxifahrer leiden nicht unter Erwerbslosigkeit und auch nicht unter einem ausbeuterischen Unternehmer. Sondern schlichtweg unter dem Markt, dem sie schutzlos ausgeliefert sind: ein Erwerbsmodell der Zukunft.

Manches deuten darauf hin, daß solche Arbeitsbedingungen das persönliche Leben künftig stärker prägen als ein „Verschwinden“ der Arbeit oder eine politisch gesteuerte Umverteilung von Jobs. In diesem Jahr wird sich die durchschnittliche Jahresarbeitszeit pro Beschäftigten verlängern, erwartet das Nürnberger IAB-Institut. Das Thema Teilzeitarbeit spielt im Wahlkampf 1998 kaum noch eine Rolle, während 1994 noch alle von der Vier-Tage-Woche sprachen. Statt über kürzere Arbeitszeiten zu diskutieren, fordern die großen Parteien jetzt mehr oder weniger unverhohlen die Beschäftigungspflicht und Niedriglöhne für Langzeitarbeitslose.

Die Idee, Arbeit ließe sich politisch umverteilen wie die Stücke einer Torte, hat sich als zu statisch erwiesen für eine hochdynamische Wirtschaft und Gesellschaft. Die Politik konnte in den vergangenen Jahren zwar Steuern erhöhen, also Geld umverteilen, aber keine Überstunden verbieten. Statt dessen verändert das Überangebot an Arbeitskräften und die technologische Entwicklung die Arbeitsbedingungen. Und zwar dramatisch. Ungleichheiten in der Erwerbswelt sind künftig das politische Thema.

Das Phänomen Ungleichheit habe eine „fraktale“ Eigenschaft gewonnen, sagt der französische Ökonom Daniel Cohen. Das heißt, schon innerhalb kleinerer sozialer Gruppen reißen durch unterschiedliche Altersstufen, Qualifikationen und Persönlichkeitsmerkmale Abgründe auf, die vorher zwischen größeren Gruppen oder Klassen herrschten.

Die Leute erleben ein zunehmendes Gefälle zwischen gefragten Wissensträgern und Fachkräften mit nicht mehr verwendbaren Erfahrungen, zwischen Hochproduktiven und Hilfskräften. Er habe, sagt ein Chemie-Betriebsrat, zwei Suizid-Kandidaten in seinen Abteilungen. Beide in den Fünfzigern. Ihnen wird keine Fortbildung mehr angetragen und schleichend die Verantwortung entzogen, weil sie sich nicht dem Wandel anpassen können.

Wer einen Job macht, den viele andere genausogut machen können, hat die schlechtesten Karten. Entlassene Facharbeiter im Osten eröffnen einen Imbiß, arbeitslose Ingenieure fahren Taxi, Frauen ohne sonstige Berufschance besuchen Kurse zur Altenpflegehelferin. In diesen Jobs drängen sich alle, die schlechter Qualifizierten und die anderswo Gescheiterten. Die Arbeit wird „verdünnt“, für viele springt zu wenig dabei heraus, wie die Pleitewelle bei Kneipen im Osten zeigt.

Die Umverteilung von Arbeit läuft durchaus – aber eben nicht über die Politik, sondern über den Markt. In Berliner Altenpflegetrupps werden die Jobs von Krankenschwestern abgebaut, nur noch eine examinierte Krankenschwester bleibt, sie gibt die Spritzen, die Helferinnen wechseln die Windeln und waschen die Patienten. Die Arbeit wird solcherart noch mal „nach unten“ aufgeteilt und entsprechend unterschiedlich bezahlt. Cohen spricht von einer zunehmenden „Segmentierung“ des Arbeitsmarktes vor allem aufgrund der technologischen Entwicklung. Die technologische Entwicklung, und nicht die Globalisierung, ist für ihn die eigentliche Ursache der Jobmisere. Entweder man hat die passende Qualifikation oder eben nicht. Im „information capitalism“, den der amerikanische Sozialphilosoph Peter Drucker beschwört, ist Wissen das höchste Gut. Damit meint Drucker nicht einfach die Menge oder das Niveau von Wissen, sondern dessen produktive Anwendbarkeit. Wer über „produktives“, also gerade auf dem Markt gefragtes Wissen verfügt, braucht sich um Arbeitsmöglichkeiten nicht zu sorgen. Dies beweist die momentan fast schon hysterische Nachfrage nach Software-Experten.

Die gefragten EDV-Fachleute müssen sich ihrerseits ständig weiterbilden, die Überstunden in Multimedia-Unternehmen beispielsweise gehören zur Betriebskultur. Der Sozioökonom Franz Josef Radermacher unterscheidet zwischen hochkompetitiver, qualifizierter Kernarbeit („core jobs“) und den austauschbaren und schlechter bezahlten Randtätigkeiten („fringe jobs“). Im Unterschied zu den Randjobs seien in den „core jobs“ kaum Teilzeittätigkeiten möglich, glaubt Radermacher. Wissen und Kreativität seien nicht teilbar.

Die Spaltungen in attraktivere und weniger anspruchsvolle Jobs erzeugen Konkurrenzdruck: Ein Recht auf Durchschnitt, auf einen Job mit „geschlossenen Grenzen“ an Zeitaufwand, Qualifikation und Einsatz, gibt es nicht mehr. Es ist auch heimliche Sehnsucht dabei, wenn die vermeintlichen „Ärmelschoner-Planstellen“ im öffentlichen Dienst heute so stark bekrittelt werden.

Aber was ist mit den ausgegrenzten, meist schlecht ausgebildeten Langzeitarbeitslosen, für die Arbeitslosigkeit nicht nur eine vorübergehende Erfahrung ist? Die CDU will den „Kombi-Lohn“ fordern, also Niedriglöhne mit Zuschüssen verbinden. Auch die SPD möchte Sozialhilfeempfängern ergänzende Lohnzuschüsse gewähren. Für Langzeitarbeitslose soll auf die eine oder andere Weise der Arbeitszwang eingeführt werden.

Die Langzeitarbeitslosen finden sich damit in einem neuen unterprivilegierten Segment der Erwerbsarbeitssphäre: den ungeliebten Pflichtjobs, gewissermaßen „künstlich“ verordnete Arbeit. Gescheiterte Selbständige auf „Stütze“ entschlammen Teiche, Entlassene ohne Berufschance buddeln ungelenk Spargel aus. Die Beschäftigungspflicht ersetzt die Spaltung zwischen Arbeitslosen und Jobbesitzern durch die neue alte Trennlinie zwischen jenen, die fremdbestimmte „Stiefeljobs“ machen müssen und solchen, die ihren Berufsweg selbständiger gestalten können.

Die Erwerbswelt zersplittert – Phasen der Arbeitslosigkeit, für die meisten Betroffenen vorübergehend, gehören dazu. Wie die Leute persönlich mit diesen Verwerfungen fertig werden oder eben nicht, darüber unterhält man sich endlos im Privaten. Noch nicht in der Politik. Barbara Dribbusch

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