Die Ansicht, dass es gar keinen Holocaust gab, findet einige Bewunderer in dieser Welt: Nichtwissen oder Nichtwissenwollen
Fremd und befremdlich
KATRIN SEDDIG
Wir hatten ja auch welche, in der Gärtnerei“, sagte meine Oma. „Die waren ja froh, dass die da arbeiten konnten. Da haben die Mittags was zu essen bekommen.“ Meine Oma hatte ein paar Kilometer vom KZ Ravensbrück entfernt gelebt. Sie war ein eher nicht gesprächsfreudiger Mensch. Aber wir fragten. Ob sie denn gewussten hätte, was da passiert sei. Sie zuckte mit den Schultern. Sie sagte, gemunkelt hätten die Leute. Dass der See manchmal voll Asche gewesen sei, zum Beispiel.
Ihre Antworten bestanden sonst größtenteils aus Schulterzucken und „Weißichnicht“. Immerhin bemühte sie sich, darüber nachzudenken, immerhin sagte sie nicht, sie hätte nichts, also gar nichts, gewusst. Es lief darauf hinaus, dass insbesondere die Menschen in unmittelbarer Umgebung des KZs einiges mitbekommen, dass sie auch Angst gehabt hätten, dass sie vieles nicht hätten wissen wollen, es insgeheim aber doch gewusst hätten, was dort geschehen wäre, wenn auch nicht im Detail und in welchem Ausmaß. „Man wollte es nicht wissen“, war so ein Satz von meiner Oma.
Und das erinnert mich an mich selbst, wenn ich mich an manchen Tagen scheue, die Nachrichten zu verfolgen, oder wenn mein Sohn zu mir kommt, um mir schreckliche Sachen zu erzählen, die in der Welt passiert seien, und wenn ich sage: „Ich will es gar nicht wissen!“ Und das sage ich vor allem deshalb, weil ich schon viel darüber weiß, zu viel. Weil ich es nicht mehr ertrage. Aber was ist damit, mit diesem Nichtwissenwollen?
Kann ich etwas tun? Muss ich etwas tun? Diese Fragen stellen sich mir nicht, wenn ich nicht weiß. Nichtwissen geht also oft einher mit Nichtwissenwollen.
Ursula Haverbeck ist ungefähr so alt wie meine Oma heute wäre, wenn sie noch lebte. Sie nennt sich selbst eine „unerschrockene Kämpferin für die Wahrheit“, und sie ist am 21. November vom Amtsgericht Verden wegen Volksverhetzung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Ursula Haverbeck ist eine alte Frau mit weißem Haar und einer Bernsteinkette um den Hals. Sie lächelt tapfer in die Kameras, denn das will sie ja sein, tapfer, heiter und „85 Jahre unermüdlich für Volk und Heimat tätig“. Das steht auf einer Urkunde, die sie zum fünfundachtzigsten Geburtstag gekriegt hat, von Markus Walter und noch jemandem, der durchgestrichen ist.
Ursula Haverbeck ist von der Richtigkeit ihrer Sache überzeugt. Sie will sich nicht verstecken, sie sonnt sich stolz in der Aufmerksamkeit, die ihr medial entgegengebracht wird, und geht dafür gerne ins Gefängnis. Ursula Haverbeck ist der Ansicht, dass es gar keinen Holocaust gab, und sie findet einige Bewunderer in dieser Welt. Immerhin ist das Verbreiten dieser Ansicht in Deutschland strafbar. Und man muss gar nicht erläutern, warum. Man muss nicht beweisen, dass es den Holocaust gab, es ist längst schon bewiesen. Es ist so oft und so vielfältig bewiesen, dass eine große Übelkeit über die Welt kam.
Frau Ursula Haverbeck sagt aber nicht, dass sie es nicht wusste, sie sagt auch nicht einmal, dass sie die Beweise nicht überzeugen, sie sagt, sie wüsste, dass es den Holocaust nicht gegeben hätte. Sie spricht hier ganz mit Bestimmtheit von einer Lüge. In allen Millionen Fällen. Das ist so unglaublich dreist und hochfahrend, denn Frau Haverbeck kann das gar nicht wissen, sie will es nur wissen, sie will einfach recht haben. Sie ist so von sich überzeugt, sie kennt so wenig den Selbstzweifel, dass man an ihrem Beispiel sehen kann, wie Nationalsozialismus funktioniert hat. Die Anerkennung, die ihr aus bestimmten Kreisen entgegengebracht wird, spornt sie sicher an. Dass sie nun vielleicht endlich selbst mal in der Zelle sitzen muss, tut ihr aber vielleicht auch gut. Vielleicht lernt sie so ein bisschen das Zweifeln an sich selbst.
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen