: Die Angst vor dem Lektor
Besserwisserei prägt oft die Arbeit im untrennbaren Gespann ■ Von Werner Raith
Für Ernesto Grassi, Professor für Philosopohie und Geistesgeschichte des Humanismus, gab es „nur einen einzigen, der alle Anforderungen an Übersetzer erfüllt, künstlerisch wie sprachlich, wissenschaftlich wie politisch“: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Besonders angetan hatte es Grassi die Gesamtübersetzung des griechischen Philosophen Platon, die Schleiermacher in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts durchführte und die Grassi in der von ihm bei Rowohlt herausgegebenen Reihe „Klassiker“ ganz an den Anfang setzte. Die Übertragung zeichnete sich von den Myriaden früherer wie späterer dadurch aus, daß sie nicht nur pingelig am Wort klebte, sondern auch die griechische Satzstellung und die Beugung der Verben mit aufnahm – ellenlange Partizipkonstruktionen, um Aorist oder Optativ einzudeutschen.
Grassi prägte eine ganze Generation von Studenten mit einem spezifischen Wort- und Sprachgefühl. Doch wehe, die Eleven versuchten, derlei dann anderweitig anzuwenden. Schon in der zweiten von Grassi herausgegebenen Reihe, „Rowohlts deutsche Enzyklopädie“, gab es erstmals Prügel. Dort herrschte souverän die damalige Cheflektorin Ursula Einbek- Schwerin, die das Taschenbuch vor allem als lesefreundliche Veranstaltung sah und Übertragungen nach Schleiermacher-Art behend in einen flüssigen Text umarbeitete. Mit dummem Gesicht empfingen Grassis Eleven ihr rotgespicktes Manuskript zurück und gaben dann meist auf.
Nur Autoritäten setzen ihre Version durch
Lektoren und Übersetzer bilden nahezu stets ein Gespann, das durch ideologische Auseinandersetzungen geprägt ist, oft aber auch durch Prinzipienreiterei, Eifersüchteleien, Besserwisserei. Nur selten sind Übersetzer durch ihre Originale „geschützt“. Burkhart Kroeber zum Beispiel, der Übersetzer des italienischen Bestseller- Autors Umberto Eco, hat durch das gute Verhältnis zu seinem Autor auch gegenüber Lektoren eine solche Autorität, daß er seine Version durchzusetzen vermag. Oder einer wie Manfred Fuhrmann, als Professor für klassische Philosophie eine anerkannte Größe: Er kann es sich neben der Neuübertragung der Reden Ciceros in modernes Deutsch sogar leisten, Aristophanes' „Wolken“, einst eine Parodie auf Sokrates, zu einer Persiflage auf die Studentenrevolte der 60er Jahre umzumodeln.
Aber solche Fälle sind selten. Normalerweise beginnt alles damit, daß der Verlag sich einen Übersetzer angelt und der zuständige Lektor mit ihm grob vereinbart, ob die deutsche Ausgabe sich sklavisch ans Original halten oder eher lesbar werden soll. Doch weit wichtiger erscheint in jedem Falle das Abgabedatum: Die Bearbeitungszeit ist meist viel kürzer als die für eine seriöse Arbeit notwendige drei- bis viermalige Korrekturzeit. Doch hat man die Rechte gerade teuer an Land gezogen, muß das Buch schnell raus.
Ist das Manuskript fertig, wiederholt sich das ewig gleiche Spiel: Der Lektor, besonders wenn er nicht fest angestellt ist und seinen Einsatz rechtfertigen will, stöhnt; jede Verzögerung wird gegenüber der Verlagsleitung mit der „unzureichenden Übersetzung“ begründet. Bekommt der Übersetzer das Opus zurück, sträuben sich umgekehrt ihm die Haare: Da hat der Kontrolleur herumgefuhrwerkt, daß man es kaum noch lesen kann, hat den ganzen mühselig aufgebauten Begriffsapparat verändert oder auch „sachliche Richtigstellungen, die der Übersetzer durch aufwendige Recherche dem nicht selten fehlerhaften Original hat angedeihen lassen, wieder zurückverfälscht“, wie sich ein verbittertes Lektoren-Opfer beklagte.
Natürlich gibt es auch den umgekehrten Fall, daß der Lektor eine unzureichende Übersetzung gerade noch mal rettet. Doch „alles in allem ist dieser Fall der wesentlich seltenere“, wie der Übersetzer heute sagt. Er weiß, wovon er spricht: Er ist inzwischen, der ständigen Schikanen bei seinen Übersetzungen müde, selbst Lektor in einem Verlag.
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