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Archiv-Artikel

Die Angst der Hausärzte vor den Alten

Betagte Patienten werden oft diskriminiert: Sie erhalten nicht immer die nötigen Medikamente und Therapien

BERLIN taz ■ Die Empörung war groß, als der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Missfelder, im Sommer vorschlug, bestimmte medizinische Leistungen für ältere Menschen nicht mehr von der Krankenversicherung bezahlen zu lassen. Was bei der landesweiten Aufregung übersehen wurde: Bereits heute werden alten Menschen viele Leistungen nicht mehr gewährt. Auf der 11. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG), die kürzlich in Berlin stattfand, wurden viele Fälle altersspezifischer Diskriminierung genannt.

Beispielsweise wäre die medikamentöse Behandlung der Alzheimer-Demenz möglich. In Deutschland leiden bereits knapp eine Million Menschen an dieser Krankheit. Allerdings würde die Behandlung jährlich mindestens 1,3 Milliarden Euro kosten. Also werden die Patienten von ihren Hausärzten oft vertröstet, wie Rainer Hellweg von der Berliner Charité ausführte. Dabei könnten durch die Behandlung der Demenz nachweislich monatlich 52 Pflegestunden eingespart werden.

Die Hausärzte sorgen sich um ihr knappes Arzneimittelbudget. Und so setzen sie oft die Medikamente wieder ab, die in der geriatrischen Klinik verordnet worden waren, wie die Leiterin des evangelischen Geriatriezentrums Berlin, Elisabeth Steinhagen-Thiessen, beklagte. Selbst Krankengymnastik oder Ergotherapie, die in der geriatrischen Klinik begonnen wurden, würden von vielen niedergelassenen Ärzten nicht weiter verschrieben.

Der Umgang mit Älteren sei „nicht sachgerecht“, kritisierte DGG-Präsident Ingo Füsgen ironisch. Es sei ein absurder Zustand, dass es für eine Praxis kommerziell zur „vitalen Bedrohung“ werden könne, wenn in der Nachbarschaft ein Altenheim liege.

Wenn er ältere Patienten zum Internisten überweist, so berichtete der Osnabrücker Geriatriechef Dieter Lüttje, kämen diese auf die Warteliste. Jüngere Patienten würden hingegen sofort untersucht. Unter zunehmendem Kostendruck sei zu erwarten, dass selbst ein Platz auf der Warteliste nicht mehr zur Verfügung stehe. Sogar bei den Krebsuntersuchungen würden Ältere bereits ausgespart, so Gerald Kolb aus Lingen. Daher werden auch Brustkrebserkrankungen älterer Frauen weit später entdeckt als bei jüngeren.

Im stationären Bereich sieht es nicht viel besser aus: Die von den Kassen erlaubte Behandlungsdauer ist von vier auf zwei Wochen gekürzt worden. Ein Schlaganfallpatient kann aber in dieser Zeit nicht wieder auf die Beine gestellt werden. Eine ambulante Reha, wie sie das Geriatriezentrum Berlin anbietet, wäre eine Alternative. Sie wird aber von den klammen Krankenkassen in Berlin nicht finanziert.

Neben dieser Unterversorgung gibt es aber auch das Phänomen der Fehl- und Überversorgung. So scheinen viele Hausärzte nicht in der Lage zu sein, die Medikamente ihrer älteren Patienten auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren und damit Kosten zu sparen. Nicht selten erhalten Patienten mit unterschiedlichen chronischen Krankheiten über zehn verschiedene Medikamente pro Tag. Die Altersmediziner machten darauf aufmerksam, dass ab fünf verschiedenen Medikamenten die Wechselwirkungen eine größere Gefahr darstellten als Nutzen brächten. DANIEL RÜHMKORF