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■ Die AnderenJan Ross von der "Berliner Zeitung" hält Schröders Kanzlerkandidatur für ein Zeichen rot-grüner Ermattung / Eckhard Fuhr kommentiert in der "Frankfurter Allgemeinen"

Jan Ross von der „Berliner Zeitung“ hält Schröders Kanzlerkandidatur für ein Zeichen rot-grüner Ermattung: Gerhard Schröder, der gerne erklärt, er gehöre gar nicht wirklich zu den Achtundsechzigern, ist gerade deshalb ihr idealer Kandidat, weil sie alle großen Hoffnungen begraben mußten und nur noch das Inhaltsleerste ihrer politischen Existenz, ihr Geburtsdatum und ihr Lebensgefühl, in den Annalen der Bundesrepublik verewigen wollen.

Für das Klima einer Schröder-Kanzlerschaft verheißt das nichts Gutes. Eben weil er bei den harten Themen, der Wirtschaft vor allem, aber auch bei der inneren Sicherheit, keine linken Vorstellungen bedienen wird, wird die linke Frustration sich am scheinbar irrelevanten Überbau schadlos halten. Der ganze Emanzipationsnippes, mit dem rot-grüne Landesregierungen ihren Herrschaftsbereich zu möblieren pflegen, von kostspieligen Quotierungsprogrammen bis zur täppischen Multikulturfolklore, mag bundesweit stilbildend werden. Die politisch-ökonomische Selbsterledigung der deutschen Linken, ihr Verzicht auf die Kapitalismuskritik, wie er sich in Schröders Kandidatur manifestiert, wird hohe Kompensationszahlungen an ihre ideologische Scheinwelt fällig machen.

Das ist das eigentliche Problem an Rot-Grün. Es hat etwas Untotes, Zombiehaftes an sich, etwas von Wiedergängerei aus der Vergangenheit, daß es die Rückkehr an eine verpaßte historische Kreuzung ist, die Rache eines Milieus, über das die Zeit bereits hinweggegangen war. Rot-Grün, das ist die Kohl-Welt noch einmal, nur von links. Daher wirkt das Experiment schon so verbraucht, bevor es begonnen hat.

Eckhard Fuhr kommentiert in der „Frankfurter Allgemeinen“: Schröders Erfolg ist zuallererst eine Art plebiszitärer Triumph über die Macht- und Entscheidungsansprüche des SPD-Apparates. Dieser Wandel hat weitreichende Folgen. Die vertrauten parteipolitischen Kulissen der Bonner Republik werden beiseite geräumt. In der Berliner Republik werden die Parteien eine weniger zentrale Rolle spielen. Man mag das „Amerikanisierung“ nennen. Manche beklagen daran die Entpolitisierung, die programmatische Verarmung. Die Wähler in Niedersachsen aber haben freudig eine bundespolitische Partizipationschance genutzt. Ein „Demokratieproblem“ ergibt sich aus der plebiszitären Kür eines Kanzlerkandidaten schwerlich.

Schröder zieht widersprüchliche Erwartungen auf sich: Sicherheit und Überwindung des Stillstands, Parteitreue und Unabhängigkeit. Man kann sagen: Das kann nicht gutgehen. Man kann auch sagen: Das ist die schwer verdauliche Alltagskost für jeden demokratischen Politiker. Ein Schlückchen plebiszitäre Legitimation fördert die Verdauung.

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