: Die Anderen: Liberation / La Stampa / La Repubblica: Kurssturz an den Aktienbörsen / Liberation: Reformen in Osteuropa
Liberation
Die linke Pariser Tageszeitung kommentiert den Kurssturz an den Aktienmärkten:
Dieser Montag war zwar nicht wirklich „schwarz“. Er verdient es dennoch, in die Annalen der Liebhaber von Rekorden einzugehen. Selten haben die Finanzleute auf solche Weise ihr Können bewiesen. Als wollten sie auf ihre Weise den zweiten Jahrestag des Börsenkrachs von 1987 feiern, haben sie einen riesigen Casino-Coup gelandet, vor den Augen derer, die über die Entkoppelung zwischen der „finanziellen“ und der „reellen“ Sphäre moralisieren. Auf absurde Weise haben sie demonstriert, daß sie ein Spiel beherrschen, daß manchmal so wenig mit den makro-ökonomischen Indikatoren zu tun hat, daß die Spieler in wenigen Stunden in einer kaum zu beschreibenden Panik mehrere Hunderte von Millionen Titel für einen Gesamtbetrag von einigen Milliarden Dollar untereinander austauschen können, ohne das System zu gefährden. Gestern hat es geklappt. Ohne Mutmaßungen über die Folgen anzustellen, muß man zugeben, daß die Maschine gezeigt hat, daß sie gut eingelaufen ist.
La Stampa
Die liberale Turiner Tageszeitung meint zum gleichen Thema:
Während des ganzen Sonntags haben die Informationsmittel der wichtigsten westlichen Länder beruhigende Nachrichten darüber ausgesandt, was bei der Wiedereröffnung der Börsen am Montag geschehen könnte. Auf den Fernsehschirmen in Amerika und Europa erschienen Finanzexperten, häufig Repräsentanten von Institutionen mit vielen Aktien und deshalb direkt an einer Begrenzung des Kurssturzes interessiert. Ihre Erklärungen standen in scharfen Kontrast mit den Sensationsmeldungen, mit denen der Krach vom Freitag anfänglich präsentiert wurde.
Ihre Bemühungen ließen sich in einen dringenden Appell zusammenfassen: nicht verkaufen. Diese Haltung der Medien und der Börsenexperten hat vermutlich das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung erzielt.
La Repubblica
Die linksstehende römische Tageszeitung schreibt dazu:
Ist die amerikanische Regierung tot? So fragte das Titelblatt des Wochenmagazines 'Time‘, kann sich eine Nation, die 5.000 Milliarden Dollar produziert, den Luxus leisten, eine Regierung zu haben, die gelähmt ist von Lobbies und ihrer eigenen Kurzsichtigkeit, wie es diese Regierung offensichtlich ist, ungeachtet ihrer Erfolge in den Meinungsumfragen?
Die Antwort, die Wallstreet an diesem angstvollen Wochenende gegeben hat, ist ein deutliches, klares, wenn auch unfreiwilliges Nein. Die Kapitulation der Politiker vor den Spekulanten und Lobbyisten ist vor allem das Ausweichen vor der Verantwortung das Land zu regieren. Dies hat und wird weitere schwarze Tage produzieren.
Liberation
Mit den Reformen in Osteuropa und ihren Auswirkungen auf den Warschauer Pakt beschäftigt sich „Liberation“:
Die grundlegende Frage stellt sich im politischen Bereich. Solange Michail Gorbatschow in der Sowjetunion regiert, werden die Reformer in Ungarn und Polen (und morgen vielleicht auch noch woanders) den Eindruck haben, daß sie Ellbogenfreiheit genießen und vorpreschen können. Es wäre nicht in ihrem Interesse, Gorbatschow in Schwierigkeiten zu bringen, indem sie offen die Frage ihres Bündnisses mit Moskau stellen, das heute weniger bindend ist als früher. Indem sie im Warschauer Pakt bleiben, machen die Reformer im Osten Gorbatschow vor allem gegenüber seinen eigenen Generälen das Leben leichter, ohne sich dadurch allzu sehr die Hände zu binden. Bleibt ein Alptraum: Was würde geschehen, wenn in Moskau wieder die „Konservativen“ an die Macht kommen?
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