Die Alten suchen Halt

Gelber Stern und Kinderladen, heißer Herbst und armer Adel: In „Café Dutschke“ des Theaters Lubricat lässt der Regisseur Dirk Cieslak vier Kriegskinder und Achtundsechziger auf vier junge Schauspieler treffen und den Dialog der Generationen versuchen

von ESTHER SLEVOGT

Eigentlich steht der Name Dutschke für eine Generation, die radikal mit der Elterngeneration gebrochen hat. Im „Café Dutschke“, das Dirk Cieslaks Theater „Lubricat“ jetzt in den Sophiensaelen eingerichtet hat, geht es versöhnlicher zu. Da fordern die Jungen, heute um die Dreißigjährigen, die alt gewordene Achtundsechziger zum Tanz. Einerseits, weil die Zeit Wunden heilt. Andererseits weil im Neuen Berlin, das auch schon wieder alt aussieht, die westdeutsche APO-Generation in den Zeitzeugenstand hineingewachsen ist.

Da sieht man sie also im Tanz sich drehen, vier junge Schauspieler und vier Laien um die sechzig, die sich im Sommer auf eine taz-Anzeige gemeldet hatten: die Schauspielerin Ursula Rennecke, deren kurzes Kleid die psychodelischen Designs der Sechzigerjahre zitiert, und Ingrid Reader, die in ihrem Leben viel war – zum Beispiel Hippie, Pixi-Fotografin in einem Kaufhaus. Oder Lubricat-Mitglied Nils Bormann im Trainigsanzug, dessen Namen den im Krieg geborenen Peter Fieback an Hitler-Adlatus Martin Bormann erinnert.

Fieback, der sich noch an Menschen erinnern kann, die den gelben Stern trugen, dessen Mutter in der Nachkriegszeit in Heimarbeit Büstenhalter nähte und mit ihm nie über die Nazi-Verbrechen reden wollte. Im Halbrund sitzen die acht später den Zuschauern gegenüber und erzählen kleine Geschichten aus ihrem Leben. Manchmal wird ein alter Schlager gesungen oder die Schauspieler spielen eine Szene aus dem Leben von einem der vier: Geschichte als Geschichte von Objekten, wie von Smarties oder alten Schallplatten, deren Geschmack und Melodien sich tief ins Gedächtnis eingegraben haben.

Renate Busse war Mitbegründerin eines der ersten Berliner Kinderläden und kann mit distanziertem Humor davon berichten, wie sich junge Eltern damals verrenkten, um bessere Menschen zu werden. Ingrid Reader liest aus alten Tagebüchern vor. Zum Beispiel, wie sie 1960 zu ihrem siebzehnten Geburtstag eine „rosa Teenagerbluse“ geschenkt bekommen hat. Fast physisch spürt man da die Zeit vor dem Epochenwechsel, der mit der Jahreszahl 1968 verbunden ist, obwohl sich auf der Bühne gar nichts tut. In einer Geschichte über einen Bankräuber, der sich für einen Nachmittag in Renates Wohnung verschanzte, kommt auch die Hysterie des „Heißen Herbstes“ von 1977 noch einmal nah. Und die Einsicht, dass selbst Bankräuber bloß verhinderte Bürgerliche sind. Denn später hat der Räuber aus dem Gefängnis einen Entschuldigungsbrief geschrieben und sich sogar nach den Zustand des Sofas erkundigt.

Die Geschichte der Ina Alexandra von Trotha reicht noch weiter zurück. Der Schauspieler Stefan Hufschmidt, der in diesem Erinnerungsspiel immer wieder die Rolle des Spielmachers übernimmt, stellt sie als Abkömmling des deutschen Uradels vor, der sich von jenen heroischen Germanenstämmen ableiten würde, die sich schon vor fast zweitausend Jahren „den einstürmenden Westgoten entgegenwarfen“. Sie selbst liest dann mit leiser Stimme eine lange Liste von im Zweiten Weltkrieg gefallenen Verwandten vor, die von ihrem Onkel Hellmuth Graf von Moltke angeführt wird, den Hitler nach dem 20. Juli „nackend erhängen ließ“. Ihre Schlösser haben die Trothas 1945 verloren, Ina lebt heute in einem Ein-Zimmer-Appartement.

Manchmal wirken die vier fast hilflos auf der Bühne, dann suchen die Älteren in den Blicken der Jungen Halt. Das sind intime Momente, die manche Peinlichkeiten allzu großer Privatheit aufwiegen, die es in diesem seltsam-schönen Abend auch gegeben hat. Am Ende strotzen sogar die Fantasien vom Tod vor Lebenslust. Peter würde am liebsten neben dem Ferienhaus seiner Mutter von einer Lawine erschlagen, und Ingrid, die Anhängerin der freien Liebe, hat schon vor langem auf dem Stansdorfer Friedhof eine Grabstätte direkt neben Zille gekauft.

„Café Dutschke“, 19.–21. 12. und 26. bis 28. 12., jeweils 20 Uhr, in den Sophiensælen, Sophienstraße 18, Mitte