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Die Absturz-Kneipe „Zum Goldenen Handschuh“ wird durch Heinz Strunks neuen Roman zur PilgerstätteDas Elend der anderen

AM RAND

Klaus Irler

Auf der Reeperbahn gibt es Kneipen, in die sich nicht jeder reintraut. Die Fenster sind verhüllt, der Schnaps billig, der Boden klebrig und geöffnet haben diese Kneipen jeden Tag für 24 Stunden. Der Elbschlosskeller ist so eine Kneipe, der Clochard oder auch der Goldene Handschuh.

Ich habe keine Erfahrung damit, was in diesen Kneipen passiert. Ich war noch nie nachts um vier vor Ort, auch nicht morgens um 8 oder mittags um eins. Ich weiß nicht, wie der Korn für 90 Cent im Clochard schmeckt und ich weiß auch nicht, welche Getränke gemeint sind mit „Ficken und Lecken“, die es im Goldenen Handschuh gibt.

Aber ich weiß, was zum Beispiel eine „Säberalma“ ist –eine Frau nämlich, der der Alkohol das Nervensystem so geschädigt hat, dass sie ihren Speichelfluss nicht mehr kontrollieren kann und sabbert. Das weiß ich, weil ich Heinz Strunks neuen Roman „Der goldene Handschuh“ gelesen habe. Dessen Schauplatz ist zu großen Teilen die gleichnamige Kneipe im Jahr 1974, als der vierfache Frauenmörder Fritz Honka hier verkehrte.

Der Roman erzählt von Honkas Leben im Milieu der harten Alkoholiker, es geht um Elend und Absturz, drastisch und detailliert geschildert. Strunk ermöglicht durch ständige Perspektivwechsel einen hohen Grad an Einfühlung, was ihm euphorische Kritiken und eine Nominierung für den Leipziger Buchpreis eingebracht hat.

Für den Handschuh ist das ein großer Schritt Richtung Mainstream. Schön länger kommt Szene-Publikum in den Handschuh – der Laden ist hip. Eine rote Leuchtkette taucht den Gastraum in ein schummriges Licht, Tisch, Stühle und Wände sind aus massivem Holz. Es gibt eine Juke-Box und von der Decke hängen goldene Boxhandschuhe, die auf den Gründer hinweisen: Der Boxer Herbert Nürnberg hat den Laden 1953 eröffnet. Mittlerweile führen ihn seine Enkel Jörn und Sascha Nürnberg.

An der Eingangstür klebt derzeit ein Werbeplakat von Strunks Verlag und in der Kneipe gibt es einen handgeschriebenen Aushang der Belegschaft: „Heinz bleibt Heinz“ steht darauf und darunter wünschen alle viel Erfolg für das Buch. Die Handschuh-Betreiber freuen sich über Aufmerksamkeit. Vor der Kneipe haben sie ein Banner über den Gehsteig gespannt, mit Kneipenname, Logo und Eröffnungsjahr. T-Shirts mit Handschuh-Logo gibt es auch schon.

Strunks Roman wird den Laden weiter gentrifizieren: Weiteres Szene-Publikum, Elendstouristen und Strunk-Fans werden kommen, die Klientel ändert sich. Allerdings nicht 24 Stunden am Tag: Die harten Alkoholiker gebe es immer noch im Handschuh, erzählt ein Anwohner. Aber sie kämen erst dann, wenn die anderen weg sind.

Ein Strunk-Fan sagt: „Der Handschuh ist harmlos geworden. Aber gegenüber im Elbschlosskeller sind Leute, das kannst Du Dir nicht vorstellen.“ Ich weiß nicht, ob das stimmt und ich werde es nicht herausfinden. Ich glaube, das ist gut so.

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