■ Die Abschaffung des Beamtenstatus der Professoren reicht für eine echte Reform der deutschen Universitäten nicht aus: Frische Hirnzellen braucht das Land!
Der Präsident der bundesdeutschen Hochschulrektorenkonferenz, Klaus Landfried, hat unlängst auf dieser Seite eine Reform des Beamtenstatus der Professorenschaft gefordert. Um die deutsche Universität in die heutige Zeit zu bringen, meint er, aus verbeamteten ProfessorInnen Angestellte machen zu müssen. Darunter versteht er auch eine Verankerung der Anwesenheitspflicht, Verschärfung des Disziplinarrechts und überdies detaillierte Aufgabenkataloge für Hochschullehrer.
Nun ist sicherlich richtig, dass der Beamtenstatus in Deutschland auch ProfessorInnen als StaatsdienerInnen definiert und zumindest heute diese leistungsunabhängige, lebenszeitliche Stellung vielen HochschullehrerInnen als sanftes Ruhekissen dient. Doch das gilt beileibe nicht für alle und wahrscheinlich nicht einmal für die Mehrzahl der Profs. An der lebenszeitlichen Stellung allein kann die mangelnde Leistung der Professorenschaft also kaum liegen. Gerade in den USA und in Kanada – denjenigen Ländern, die immer als leuchtende Beispiele dynamischer Universitäten herangezogen werden – ist tenure, die lebenszeitliche Stellung dort, weiterhin von zentraler, nicht wegzudenkender Bedeutung. Und das aus guten Gründen.
HochschullehrerInnen müssen in ihren Disziplinen, ihren Institutionen und in der Gesellschaft politisch unbequeme Meinungen vertreten und unkonventionelle Wege gehen können, ohne ihre Existenz zu riskieren. Dies gilt heute genauso, wie zur Zeit des Kalten Krieges. Unsäglich wäre weiterhin, HochschullehrerInnen etwa eine Anwesenheitspflicht und spezifische Aufgabenkataloge an der Universität aufzubrummen; vielmehr sollten sie von zeitraubender Verwaltungsarbeit befreit und die unsinnigen, nicht auf Massenuniversitäten zugeschnittenen Prüfungsprozeduren reformiert werden. Die Forschung und die universitäre Lehre sind nun einmal hochindividualistisch und verlangen auch ganz unterschiedliche Arbeitsstile und Zeitökonomien. Dementsprechend können die Erfüllung akademischer Pflichten und die professorale Leistung nur individuell bewertet werden. Deshalb ist es etwa in Nordamerika und in Großbritannien gang und gäbe, dass studentische Bewertungen der Lehre und kollegiale Bewertung der Forschungs- und Publikationstätigkeit bei der jährlichen Gehaltsfestsetzung eine Rolle spielen.
Über all das wurde in Deutschland längst schon ausführlich diskutiert, und teilweise sind Vorschläge in dieser Richtung auch in Anfängen verwirklicht worden. Aber Reformen wie diese rühren nicht an eine andere fundamentale Schwäche des deutschen Universitätsbetriebs – eine Schwäche, die wiederum viel mit ganz anderen Aspekten der deutschen Geschichte zu tun hat.
Wenn wir uns an den einzelnen Instituten in ganz verschiedenen universitären Bereichen umsehen, so springt rasch diese ethnisch saubere Ödnis ins Auge. Hierfür ein Beispiel: Forschung und Lehre, das Organ des deutschen Hochschullehrerverbandes, registrierte in den Mai- und Juni-Ausgaben dieses Jahres insgesamt 322 Habilitationen und Berufungen. Von diesen waren ganze 13 – oder vier Prozent – erkennbar nichtdeutsche Namen; und bei denen handelte es sich wiederum nur in zwei Prozent der Fälle um Rufe an Universitäten.
Gerade im dynamischsten Teil der angehenden oder aufstrebenden Professorenschaft sind nicht-deutschstämmige also so gut wie nicht vertreten. Forschung – eine grenzüberschreitende, internationale Aktivität par excellence – ist gerade an deutschen Universitäten in der Zusammensetzung des Lehrkörpers in fast absurder Weise homogen deutsch geblieben. Oder genauer: geworden und – seit der Arisierung der deutschen Universität in der Nazizeit – auch geblieben. Darüber kann auch die intensive Reisetätigkeit deutscher ProfessorInnen nicht hinwegtäuschen.
Kein Unternehmen, ja auch wenige Gewerkschaften in Deutschland könnten heute eine derartige unikulturelle und provinzielle Personalpolitik betreiben. Auch hier besteht eben ein gravierender Unterschied zu Großbritannien, Nordamerika und selbst zu Frankreich. In Deutschland bleiben die gelegentlich ausländischen wissenschaftlichen Hilfskräfte weitgehend mit dem Stigma der „Dritten Welt“ behaftet, oder, wenn sie anderswo aus Europa kommen, sind sie schon ob ihrer fehlerhaften Sprachkenntnisse suspekt. Eine Figur wie der deutsche Soziologe Ralf Dahrendorf, als hochgeehrter, führender britischer Intellektueller – beileibe keine Ausnahmen dort – oder wie die vielen amerikanischen Nobelpreisträger mit vormals fremden Pässen sind in Deutschland schlicht undenkbar geblieben.
Insbesondere die USA haben über viele Jahrzehnte, bezeichnenderweise seit der Zeit der Emigration aus Nazi-Deutschland, von der sie so immens profitierten, ganz bewusst eine Rekrutierungspolitik betrieben, die hochbegabte junge Akademiker aus allen Teilen der Welt ins Land gebracht hat, und ohne den der kosmopolitisch – und zweifellos auch imperiale – Orientierungsrahmen der amerikanischen Universität nicht denkbar ist.
Für die ethnische Exklusivität in Deutschland gibt es natürlich gute Gründe. Einmal abgesehen vom erwähnten, heute noch prägenden Einschnitt der Nazizeit ist dies vor allem die inzüchtige und klientelistische Rekrutierung von Nachwuchs: Wer nicht durch Promotion und Habilitation, dazu beim rechten Professor, ausgewiesen ist, hat kaum eine Chance, über dessen Patronage – und es sind ja fast nur Männer – oder über seine oder die eigenen ehemaligen Studienkollegen einen akademischen Ruf zu erhalten. Der Neuaufbau der Universitäten in Ostdeutschland liefert hierfür ein beredtes Zeugnis: Es wurde überhaupt nie daran gedacht, WissenschaftlerInnen aus anderen Ländern wesentlich in diesen Aufbau einzubeziehen, obwohl einige prominente ausländische WissenschaftlerInnen dies angeboten hatten.
Es ist übrigens ja auch sehr leicht für die deutsche, vor allem universitäre, Intelligenz sich über den Rassismus der niederen Schichten zu echauffieren. Ob ImmigrantInnen deutschen BürgerInnen Jobs wegnehmen oder nicht, berührt ProfessorInnen und andere hochqualifzierte Berufe ja kaum – denn hier haben AusländerInnen von vornherein keinen Zutritt. Der Fall einer Dirigentin aus Russland – dem Land also berühmtester VirtuosInnen schlechthin – ist hier bezeichnend: Diese Dame, mit dem Abschluss von der besten russischen Musikhochschule, hatte sich in Deutschland um eine Dirigentenstelle beworben und wurde abgewiesen, weil ihr ein entsprechendes deutsches Diplom hier fehlte. Gewiss macht es in manchen Berufen wie etwa der Medizin Sinn, Qualifikationsprüfungen für Ausländer zu verlangen; in anderen Sparten jedoch privilegieren diese Maßnahmen nur weniger fähige einheimische Kräfte. Der Mangel an andersartigen Biographien und frischen Orientierungen wirkt sich dementsprechend in der miefigen und innovationsfeindlichen Atmosphäre vieler Universitäten aus.
Ich meine: Konkurrenz belebt auch im akademischen Bereich das Geschäft; und die besonderen Ressourcen, die ImmigrantInnen mit sich bringen, würden auch den deutschen Universitäten gut bekommen. Ein jüngeres beredtes Beispiel ist die massive Einwanderung russischer Juden/Jüdinnen nach Israel, von denen ein hoher Prozentsatz mit hohen Qualifikationen kam und die Israel gerade auch im Hightech-Bereich, aber auch in der kulturellen Sphäre einen immensen Boom bescherten. Warum hat Bonn sich dazu drängen lassen, die Einwanderung hochqualifizierter Juden/Jüdinnen (und übrigens auch der entsprechenden Gruppe Russlanddeutscher) zu drosseln, statt eben diese Zuwanderung aus ganz eigennützigen Gründen zu erleichtern? Und was wird übrigens dafür getan, Kinder der türkischen, griechischen und aller anderen Einwanderer mit Sonderprogrammen an die Universitäten der Bundesrepublik zu führen?
In anderen Ländern haben nicht nur Regierungen, sondern auch Universitäten schon längst Ausländerbeauftragte und Sonderprogramme, die sich um Minoritäten kümmern und deren Zugang zu den Unis zu erleichtern suchen.
Mit neuen Menschen kommen neue Ideen, und diese kulturelle Bereicherung der Universität täte vieles zu ihrer Belebung und Erneuerung – mehr jedenfalls als kleingeistige Gängelung und bürokratische Kontrolle.
Michal Bodemann
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