Die 85-jährige Esther Bejarano kämpft gegen Nazis: Hip-Hop der Holocaust-Überlebenden

Die jüdische Musikerin Esther Bejarano spielte im Mädchenorchester von Auschwitz und überlebte so den Holocaust. Derzeit tritt sie mit der Kölner Hip-Hop-Combo Microphone Mafia auf und engagiert sich gegen Nazis.

Kämpft mit Rap gegen Nazis: Esther Bejarano mit der Kölner Hip-Hop-Combo Microphone Mafia bei einem Auftritt in Hamburg. Bild: ap

taz: Frau Bejarano, mit der Kölner Hip-Hop-Combo Microphone Mafia haben Sie die CD "Per la Vita" aufgenommen. Ihre Lieder wurden mit einem Hip-Hop-Beat unterlegt und neue, gerappte Texte kamen zu ihrem Gesang dazu. Mögen Sie Hip-Hop-Musik wirklich?

Esther Bejarano: Ich kann nicht sagen, dass ich sie liebe. Sie ist mir viel zu laut und das Rumgehopse auf der Bühne ist auch nicht mein Fall. Die Rapper habe ich aber schon gemäßigt.

Was interessiert Sie an der Zusammenarbeit?

Zum einen, wie unsere Musik mit den Texten der Rapper zusammenpasst. Die sind wirklich gut. Zum anderen, dass eine Alte wie ich mit ganz jungen Leuten auf der Bühne steht. Es kommen drei Generationen zusammen, aber auch drei verschiedene Religionen.

Welche denn?

kam am 15. Dezember 1924 in Saarlouis in einer deutsch-jüdischen Familie zur Welt.

1943 wurde sie als "Halbjüdin" nach Auschwitz deportiert und später ins KZ Ravensbrück verlegt.

Auf einem Todesmarsch 1945 konnte sie fliehen. Sie wanderte nach Palästina aus und kämpfte im Unabhängigkeitskrieg.

1960 zog Esther Bejarano nach Hamburg. Mit ihren Kindern, Edna und Joram, spielt sie in der Band "Coincidence" und seit kurzem in der Hip-Hop-Band "Bejaranos und Microphone Mafia".

Zahlreiche Auszeichnungen erhielt sie für ihr künstlerisches und antifaschistisches Engagement. Sie ist Vorsitzende des Auschwitz-Komitees und Ehrenvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA).

Wir Bejaranos sind Juden, Kutlu Yurtseven ist Moslem und Rossi Pennino ist Christ. Es ist auch eine Aussage, dass man gemeinsam arbeiten und leben kann. Gerade mit den Rappern teilen wir Erfahrungen von Ausländerfeindlichkeit: Wir wollen zeigen, dass diese Erfahrungen nicht Vergangenheit, sondern auch bittere Gegenwart sind.

Wie kamen Sie mit der Microphone Mafia in Kontakt?

Sie haben uns gesucht. Einverstanden war ich auch nur, weil ich das Projekt politisch gut, eine tolle Mischung und ein Mittel zum Zweck finde. Ein Mittel gegen Nazis und Antisemitismus.

Die CD soll auf dem Schulhof als Gegenstimme zu rechten Musik-CDs verteilt werden. Wer kommt zu Ihren Konzerten?

Ganz gemischt, auch viele alte Leute sind von dem Projekt begeistert. Mittlerweile kommen sogar Anfragen aus dem Ausland, da viele Zeitungen darüber berichteten. Neulich bekam ich einen Anruf aus den USA, aus Cincinnati, von einem Mann, den ich 60 Jahre nicht gesehen habe. Krümel, was machst du denn für Sachen, sagte er. Früher haben mich alle Krümel genannt, da ich so klein war. Er will Auftritte für uns organisieren. Auch das Goethe-Institut will, dass wir in Jerusalem, Tel Aviv, Prag und Istanbul spielen.

Sie gehen auf große Tournee?

Wir sind natürlich bereit, obwohl ich nicht weiß, wie lange ich es noch in meinem Alter mache. Es ist ein wichtiges Projekt, gerade in der heutigen Situation von Ausländerfeindlichkeit. Es ist eine Katastrophe mit den Nazis, eine Schande für Deutschland. Die Regierung macht nichts. Darum müssen wenigstens wir was tun.

Wie kamen Sie zur Musik?

Schon bei meinen Eltern spielte Musik eine große Rolle. Mein Vater hatte eine wunderschöne Stimme, er war Kantor in der jüdischen Gemeinde, sang Opern und leitete Arbeiterchöre. Er war durch und durch Musiker. Meine Mutter stand immer neben ihm. Sie wollten, dass alle ihre Kinder Klavier spielen lernten. Aber nur ich hatte die Geduld und spielte gerne. Ich kann mich erinnern, dass wir Konzerte zu Hause gegeben haben. Leute standen auf der Straße und haben zugehört. Das hat mich geprägt und mir geholfen, zu überleben. So hatte ich eine einigermaßen schöne Kindheit, bis Hitler im Saarland an die Macht kam.

Nachdem Sie zwei Jahre Zwangsarbeit in einer Gärtnerei in Fürstenwalde leisten mussten, wurden Sie 1943 nach Auschwitz deportiert und spielten dort im Mädchenorchester Akkordeon. Spielen sie dieses Instrument immer noch?

Recht und schlecht, ich habe es nie gelernt. Aus der Not heraus habe ich gespielt und hatte in Auschwitz keine Wahl. Es gab kein Klavier. Aber ein Akkordeon. Rechts die Klaviertasten und links die Knöpfe. Ich hatte keine Ahnung, was ich mit den Knöpfen anfangen sollte, bis mir aufging, dass das die Akkorde sind. Dann sollte ich für Zofia Czajkowska, genannt die Tschaikowska, die erste Dirigentin des Mädchenorchesters, den deutschen Schlager "Du hast Glück bei den Fraun, Bel Ami" spielen.

Kannten Sie das Stück?

Ich kannte den Schlager, aber es war schon ein Wunder, dass ich dieses Lied zustande gebracht habe. Hundertprozentig merkte sie, dass ich keine Akkordeonspielerin bin, aber auch, dass ich musikalisch bin. Das war mein Glück, denn vorher musste ich eine sehr schwere Arbeit verrichten. Steine schleppen, von einer Seite des Feldes zur anderen Seite. Eine völlig unsinnige Arbeit, da man am nächsten Tag die Steine zurückschleppen musste.

Sie gingen 1960 nach Hamburg. Wie schwer fiel Ihnen diese Entscheidung?

Sehr schwer, da ich nicht gerne in das Land der Täter zurückkam. Meine Eltern und meine Schwester wurden von den Nazis ermordet, aber wir hatten keine andere Wahl. Erstens bekam mir das Klima in Israel nicht und zweitens wollte mein Mann nicht mehr in den Krieg ziehen. In einigen Kriegen hatte er schon mitgekämpft, auch ich war Soldatin 1947 im Unabhängigkeitskrieg. Aber die folgenden Kriege fand mein Mann unsinnig. Damals wie heute konnte man den Kriegsdienst nicht verweigern. Also mussten wir raus.

Wie sind Sie hier aufgenommen worden?

Am Anfang war es schwer. Aber nach und nach lernte ich Leute kennen. Deutsche Widerstandskämpfer. Ich wusste gar nicht, dass es die gab. Ich hatte eine Boutique in Eimsbüttel für Schmuck aus aller Welt und eines Tages baute die NPD einen Stand fast vor meiner Tür auf.

Wann war das?

Ende 1979. Ich habe protestiert, auch weil die Polizei die Nazis vor einer Gegendemonstration schützte. Die Transparente "Nie wieder Krieg" und "Nie wieder Faschismus" gefielen mir. Ich bin raus und fragte die Polizisten, wen sie hier schützen. Ich packte einen am Revers und er forderte mich auf, ihn loszulassen, sonst würde er mich einsperren. Ruhig meinte ich, dass ich in Auschwitz war. Einer der Nazis sagte darauf, die müssen sie unbedingt einsperren, wenn sie in Auschwitz war, dann ist sie eine Verbrecherin. Das hat mir gereicht. Am nächsten Tag bin ich in die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes eingetreten. Seitdem kämpfe ich gegen diese Nazis.

1986 haben Sie das Auschwitz-Komitee mitgegründet.

Ich fand es wichtig, dass wir hier so eine Institution haben. Ich tue was ich kann. Auch mit meiner Musik, da ich ausgebildete Koloratursopranistin bin. Singen kannst du, dann mach was damit, dachte ich mir und gründete die Gruppe "Siebenschön". Blöder Name, ich weiß.

Welche Musik spielten Sie?

Wir waren eine politische Gruppe, die auch Lieder gegen Krieg, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus gesungen hat. Wie der Zufall so will, hat ein Manager in Paris meine erste Schallplatte in die Hand bekommen und uns für ein internationales Folklore Festival in Vancouver engagiert. Im nächsten Jahr spielten wir wieder auf dem Festival, diesmal mit "Coincidence", einer Gruppe, die meine Tochter gegründet hatte.

In Schulen treten Sie als Zeitzeugin auf. Verspüren Sie keine Müdigkeit, die eigene Geschichte zu erzählen?

Das gibt es überhaupt nicht: Müdigkeit. Ich finde es ganz wichtig, dass die Zeitzeugen ihre Geschichte erzählen. Egal, ob ich das bin oder wer anderes. Es ist etwas zum Anfassen und wichtiger als zehn Bücher zu lesen. Die Schüler nehmen diese Gespräche viel besser auf, sehen und hören, was damals passiert ist. Leider sind schon viele Zeitzeugen gestorben, hier muss etwas erfunden werden, damit die Geschichte weiterlebt. Zum Beispiel der Film, der das Musikprojekt "Per la vita" dokumentiert, der kann dann an Schulen gezeigt werden.

Mitte April hatte die NPD in einem offenen Brief angekündigt, ihre Lesung in einer Schule zu stören. Kommt das oft vor?

Nein, das war das erste und ich hoffe, das letzte Mal. Die NPD ist nicht gekommen. Sie sind viel zu feige und haben nur eine große Klappe. Die Veranstaltung war große Klasse und ich habe mich wahnsinnig gefreut, dass so viele Leute, auch junge Menschen gekommen sind.

Nächster Auftritt mit der Microphone-Mafia im Norden: 4. Mai, 17:30 Uhr, KZ-Gedenkstätte Neuengamme bei einer Gedenkveranstaltung zum 65. Jahrestag der Befreiung aus den Konzentrationslagern

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