piwik no script img

■ Die 70er JahreKlassenkampf

Ein Aufschrei zog übers Land. Praunheims und Danneckers Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ hatte im Juli 1971 die Schwulen provoziert. „Röschen“ hatte kein mitleidsvolles Bild der Schwulen gezeichnet, er hatte nicht um Toleranz geworben, sondern aufgezeigt, was alle wußten: die Entfremdung in den schwulen Bars, das Treiben in den Klappen und, am Ende, die Utopie einer schwulen Wohngemeinschaft entworfen. „Für uns war das unvorstellbar“, sagt Egmont Fassbinder (51). Gemeinsam im Bett zu sitzen, alle sind nackt, so, wie im Film zu sehen, wo habe es das damals gegeben?

Am 15. August 1971 wurde der Film noch einmal gezeigt, im Kino Arsenal. Wieder schäumten die Schwulen, beschlossen aber nach hitziger Debatte, eine homosexuelle Emanzipationsgruppe zu gründen. Am 21. November war es soweit, die „Homosexuelle Aktion Westberlin“ (HAW) wurde ins Leben gerufen.

Egmont Fassbinder war einer der Mitbegründer. Vorher war er politisch aktiv: in der SPD, im SDS und dann in der HAW. Sonntagabends traf man sich in der Dennewitzstraße, tagte bis spät in die Nacht, bis die Subkultur rief. Es wurde Privates diskutiert und Politisches und: „Es gab einen starken Gruppenzwang.“ Egmont Fassbinder erinnnert sich an einen HAW-Beschluß: alle Mitglieder sollen ihren Müttern ihre Homosexualität offenbaren. Die meisten taten es.

Die Aufbruchjahre. Am 1. Mai 1973 trauten sich Schwule erstmals auf die Straße. Sie trugen, inmitten des Arbeiterdemonstrationszuges, das längste Transparent: „Homosexuell - ob ja, ob nein, im Klassenkampf heißt's solidarisch sein!“ Egmont Fassbinder hielt das Transparent und verteilte Flugblätter. Ein Mann versuchte, es ihm zu entreißen. Fassbinder hat zugeschlagen, „ich habe gar nicht gedacht, daß ich das könnte“.

Egmont Fassbinder Foto: Wolfgang Borrs

Schon in den HAW-Anfängen gab es heftige Dispute zwischen Schwulen und Lesben. „Von den Lesben wurde uns vorgeworfen, wir würden sie im Plenum unterdrücken“, sagt Egmont Fassbinder. Als Erpressung bezeichnet er das Verhalten der Lesben. Die Frauen gingen - und gründeten, gemeinsam mit heterosexuellen Feministinnen, die ersten Frauenzentren. Jens Rübsam

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen