hamburger szene : Dicke Luft im ICE
Der ICE nach Hamburg war hoffnungslos überfüllt. Verzweifelte Mütter mit Kindern, aber ohne Reservierung, kämpften sich durch den Zug, doch es war nichts zu machen. Die ersten hatten bereits aufgegeben und sich im Niemandsland zwischen den Waggons auf den Boden gesetzt.
Die vermutlich einzigen freien Plätze im ganzen ICE gehörten zu einem Viererabteil, in dem ein kleiner Junge und eine ältere Dame saßen. Auf dem Reservierungsschild stand „Kids on Tour“, das ist der Kinderbegleitservice der Deutschen Bahn. Die Plätze seien leider reserviert, erklärte die ältere Dame jedem, der sich setzen wollte. Sie erklärte es in freundlichem Ton, aber bestimmt.
„Können Sie sich das nicht noch mal überlegen?“ Eine Frauenstimme drang durch das allgemeine Gemurmel. „Hören Sie, ich rede mit Ihnen!“ Offenbar galt das der älteren Dame, die dort hinten so unnachgiebig ihre freien Plätze verteidigte. Das Gemurmel im Waggon verstummte. „Reden sie nicht mit mir?“ Die Stimme wurde lauter. „Es sind auch Kinder hier, die keinen Sitzplatz haben. Lassen Sie wenigstens die Kinder bei sich sitzen.“ Keine Reaktion. „Also, das ist doch unglaublich! Gerade bei Menschen Ihrer Generation fällt mir das immer wieder auf. Wie kann man nur so unverschämt sein!“
Inzwischen hatte der ganze Waggon den Kopf eingezogen. Das Anliegen mochte berechtigt sein, solidarisieren wollte sich aber keiner. Dafür war der Ton einfach zu schrill. DANIEL WIESE