Dialog mit Moskau wieder aufgenommen: Russland sonnt sich in Europa
EU-Russland-Gipfel im französischen Nizza vereinbart neue Partnerschaftsverhandlungen, umrahmt von einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur. Georgien? Das war gestern.
Russlands Parlament (Duma) hat die von Präsident Dmitri Medwedjew vorgeschlagene Amtszeitverlängerung von vier auf sechs Jahre in erster Lesung angenommen. 388 der 450 Abgeordneten stimmten gestern dafür, nur die Kommunisten dagegen. Anders als zunächst geplant sollen die zweite und die entscheidende dritte Lesung erst nächste Woche folgen. Vor dem Parlamentsgebäude kritisierten Demonstranten der liberalen Partei SPS, die Verfassungsänderung diene dem Machterhalt von Medwedjew und Putin. Zum Inkrafttreten müssen auch der Föderationsrat sowie zwei Drittel der Regionalparlamente zustimmen. Die Abgeordneten stimmten auch für die Verlängerung der Duma-Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre.
Auf ihrem Gipfel in Nizza haben sich die EU und Russland gestern erwartungsgemäß geeinigt, die im September ausgesetzten Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen wieder aufzunehmen. Die Gespräche waren nach dem russischen Blitzkrieg gegen Georgien im August vorübergehend ausgesetzt worden. Anfang der Woche hatte die Mehrheit der 27 EU-Staaten das Plazet dafür gegeben, in die Arbeit an einem neuen Rahmenabkommen mit Russland wieder einzusteigen. Außer Litauen hatten alle Mitglieder für eine Wiederaufnahme gestimmt. Besonders die osteuropäischen Staaten taten dies jedoch nur halbherzig und nach ausführlicher Beratung durch Paris und Berlin.
Der EU-Ratsvorsitzende und französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy sagte, Russland habe "einen sehr großen Teil" seiner Verpflichtungen im Zusammenhang mit der im August vereinbarten Waffenruhe im Kaukasus erfüllt. Gleichwohl forderte er weitere "Fortschritte" beim Abzug der russischen Truppen aus georgischem Gebiet. Nach wie vor stehen in dem besetzten Südossetien mehr russische Soldaten als vor Ausbruch des Konflikts. Russlands Präsident Dmitri Medwedjew hingegen hob hervor, dass Moskau den Sechs-Punkte-Plan "in Gänze erfüllt" habe. Auch die Anerkennung der georgischen Teilrepubliken Abchasien und Südossetien wolle Russland nicht rückgängig machen, bekräftigte er.
Medwedjew zeigte sich auf dem Gipfel von seiner Schokoladenseite. Der martialische Duktus, den der Kremlchef ansonsten seinem Vorgänger Wladimir Putin abschaut, wich in Nizza einem verbindlich freundlichen Tonfall. Noch am 5. November hatte er den Europäern mit der Aufstellung von Kurzstreckenraketen des Typs Iskander in der Region Kaliningrad gedroht und damit den Europäern einen Schrecken eingejagt. Doch sind diese Raketen weder betriebsfertig noch nach Aussagen russischer Militärexperten für einen solchen Einsatz geeignet. Auch Medwedjew beherrscht wie Premier Putin die Kunst des Bluffs hervorragend. Er versteht es, die Europäer zu verunsichern und gleichzeitig um den Finger zu wickeln.
Statt mit russischen Raketen warb Medwedjew in Nizza für ein neues euroatlantisches Sicherheitssystem und wiederholte seinen Vorschlag, von einer Stationierung der Raketen in Kaliningrad abzusehen. Voraussetzung sei, dass auch die USA und ihre osteuropäischen Verbündeten den Plan eines Raketenabwehrschirms fallen ließen. "Man kann sich gegenseitig mit Raketenschilden und Raketen bedrohen, aber das ist nicht die Idee Europas", sagte der Präsident. Sarkozy griff die Anregungen für eine neue Sicherheitsarchitektur auf und schlug dazu einen Gipfel der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) im Juni vor.
Neben der Sicherheitsarchitektur schielt Moskau jedoch auch darauf, die Dissonanzen zwischen den USA und der EU zu vertiefen. Eine Verbesserung des europäischen Verhältnisses zu den USA nehmen Hardliner in Russland als Bedrohung wahr. Kooperation und Konfrontation im Verhältnis zu Russland liegen dicht beieinander. Dennoch waren beide Seiten in Nizza bemüht, den Gipfel als einen qualitativen Neuanfang darzustellen.
In diesem Sinne äußerte sich auch der EU-Außenbeauftragte Javier Solana, wichtiger als das Ergebnis des Gipfels sei dessen Tonlage. Angesichts der Empfindungen in einigen europäischen Ländern könne man nicht einfach zur Tageordnung übergehen. Damit begründete er auch die Aufnahme neuer Verhandlungen: "Ein Rahmen, in dem die Beziehungen geregelt sind, ist besser als kein Rahmen."
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