Diätenerhöhung im NRW-Landtag: Geplatztes Weihnachtsgeschenk
Im Landtag von NRW will eine ganz große Koalition aus SPD, CDU und Grünen die Diäten erhöhen. Doch die Bürger sind wütend bei vier Milliarden Euro Neuverschuldung.
DÜSSELDORF taz | Die Protestmails, die der nordrhein-westfälische Bund der Steuerzahler auf seiner Homepage genüsslich präsentiert, sind deutlich: "Schämen" sollten sich die Abgeordneten, "eine Frechheit" sei die Diätenerhöhung, an der der Ältestenrat des Landtags seit Monaten werkelt.
"Unmoralisch" finden viele der 6.000 Bürger, die ein Protestschreiben heruntergeladen haben, den geplanten Griff in die Landeskasse - angesichts von 4 Milliarden Euro Neuverschuldung: "Die Quittung kommt bei den nächsten Wahlen", droht einer.
Wütend macht die Bürger die Unzufriedenheit der Abgeordneten mit ihrer Altersversorgung. Zwar hatte das Landesparlament die Überversorgung seiner Exmitglieder schon 2005 reduziert: Pensionen fließen seitdem erst ab dem 65. Lebensjahr - zuvor wurden Abgeordnete schon mit 55 "versorgt". Doch im Gegenzug genehmigten sich die Politiker eine Verdoppelung ihrer Bezüge: Derzeit erhalten Landtagsmitglieder pro Monat 10.226 Euro - kein anderes Landesparlament zahlt fünfstellige Diäten. Allerdings müssen die Politiker ihr Einkommen voll versteuern und davon auch etwa Kosten für ihre Wahlkreisbüros tragen.
Außerdem fließen derzeit 1.614 Euro monatlich in ein privatwirtschaftlich organisiertes Versorgungswerk. Zu wenig sei das, findet eine ganz große Koalition aus SPD, CDU und Grünen - und will die Einzahlungen auf monatlich 2.114 Euro erhöhen. Dies diene der "Freiheit und Unabhängigkeit" der Abgeordneten, argumentiert etwa die Grüne Sigrid Beer.
Die CDU wird noch deutlicher: Das Versorgungswerk des Parlaments müsse "zukunftssicher gemacht" werden. Im Klartext heißt das: Die Christdemokraten fürchten sinkende Pensionen. Denn gesunken ist auch die Zahl der Einzahler in die Politikerkasse: Im Düsseldorfer Landtag sind nicht mehr 231 wie 2005, sondern aktuell noch 181 Abgeordnete vertreten. Außerdem sorgt die Eurokrise auch im Politikerversorgungswerk für schrumpfende Verzinsung.
"Arg entrückt" seien die Maßstäbe der Landespolitiker, kritisiert dagegen der Sozialexperte des Steuerzahlerbunds, Rik Steinheuer: Nach zehn Jahren im Landtag erhalte ein Politiker aktuell dafür eine Pension von etwa 1.250 Euro. Ein Durchschnittsverdiener erwerbe in dieser Zeit nur einen Rentenanspruch von 275 Euro. Die Parlamentarier versuchten, "sich von der Lebenswirklichkeit der Bevölkerung abzukoppeln", findet der Chef des Steuerzahlerbundes, Heinz Wirz.
Auf Distanz geht nicht nur die Linkspartei: Auch die FDP hat sich dem Versuch, die Diätenerhöhung noch vor der Winterpause zu verabschieden, verweigert. FDP-Fraktionschef Gerhard Papke sprach von einer Nacht-und-Nebel-Aktion - und musste sich prompt ein Protokoll vorhalten lassen, in dem sein eigener Parlamentarischer Geschäftsführer die Erhöhung forderte, aber als Barauszahlung. Mit einer Expertenanhörung geht der Diätenstreit im Januar in die nächste Runde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste