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Devisen-Schalcks Domizil durchsucht

■ Großangelegte Nachforschungen am Tegernsee und weiteren 14 Orten in Ost-Berlin/ Ganze Lastwagenladungen Akten sichergestellt/ Neuer Haftbefehl gegen Schalck noch nicht in Sicht

Berlin (taz/ap/dpa) — Die Kripo hat gestern bei einer großangelegten Durchsuchungsaktion im neuen bayrischen Domizil des früheren SED- Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski und an weiteren 14 Orten in Ost-Berlin umfangreiches Material sichergestellt. Die Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach teilte mit, zu den früheren Geschäften unter Golodkowskis Leitung seien den Fahndern „LKW- weise“ Unterlagen in die Hände gefallen. Die Staatsanwaltschaft erhoffe sich davon Aufschlüsse über verdeckte Operationen der „Kommerziellen Koordinierung“ (KoKo) unter Schalck-Golodkowski, deren Hintermänner, Konten und Firmenverbindungen.

Insgesamt hätten mehr als 70 Kriminalbeamte im Laufe des Vormittags an verschiedenen Orten gleichzeitig zugeschlagen, berichtete die Senatorin. Sie hätten sich unter anderem zu Firmenräumen von Banken im Ostteil Berlins und zu Wohnungen früherer Mitarbeiter Schalcks Zugang verschafft. Die Durchsuchungen waren nach den Worten Limbachs notwendig, weil Beweismittel nicht ausreichten, die die Behörden von der damaligen DDR-Ermittlungsgruppe übernahmen. Die Wirtschaftsverbindungen der „KoKo“ seien vielschichtig und weitverzweigt gewesen. An der Aktion seien auch Spezialisten für die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität beteiligt gewesen. Schalck wurde von der Durchsuchung seiner neuen Niederlassung überrascht.

Die Ermittlungen gelten den Angaben zufolge den Operationen der Hauptabteilung I der „KoKo“. Zu deren Aufgabe habe es unter anderem gehört, im In- und Ausland Tarnfirmen zu gründen. Die Arbeitsgruppe Regierungskriminalität hofft auch, auf Akten gestoßen zu sein, aus denen sich bislang unbekannte Hintermänner und entsprechende Konten und Firmenverbindungen ergeben könnten. Auch die Wohnräume des früheren stellvertretenden Leiters der „KoKo“ in Berlin, Manfred Seidel, seien durchsucht worden. Gegen ihn wird nach Auskunft der Senatorin wie gegen Schalck wegen Untreue ermittelt.

Erkenntnisse erhoffen sich die Ermittlungsbehörden auch über den Verbleib von 237 Millionen Mark aus dem Devisenvermögen unter Schalcks Verwaltung, auf deren Fehlen bereits die Ex-DDR-Staatsanwaltschaft hingewiesen hatte. Sie sind laut Limbach im mehreren Teilbeträgen vermutlich ins Ausland abgeflossen. Justizsprecherin Jutta Burghart erklärte auf Nachfragen der taz, man könne noch nicht sagen, ob sich aus dem jetzt beschlagnahmten Material ein neuer Haftbefehl für Schalck ergebe. Auch über eine neuerliche Vernehmung Schalcks sei noch nicht entschieden. Die Auswertung der neuen Unterlagen werde mit Sicherheit Tage, wenn nicht Wochen in Anspruch nehmen. Die Wahl des Zeitpunkts für die Razzia habe ausschließlich von organisatorischen und keinen anderen Gründen abgehangen. Schließlich habe man erst einmal die aus Ost-Berlin übernommenen Akten sichten müssen und leider nur einen Staatsanwalt zur Verfügung, der sich um Schalck-Golodkowski kümmen könne.

Die fünf verschwundenen Koffer aus dem Besitz Schalcks, in denen Hinweise auf Auslandskonten der DDR vermutet werden, waren nach den Informationen von Burghart nicht unter den sichergestellten Gegenständen. Schalck soll diese Koffer dem damaligen DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow übergeben haben. Danach setzte sich der Devisenbeschaffer in den Westen ab.

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