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Deutschlands WehrhaftigkeitEs wird wieder verweigert

Die Friedensgesellschaft spricht vom „Revival“, auch Influencer werben für die Verweigerung. Derweil sucht die Bundeswehr dringend Personal.

Aktion der Kampagne gegen Wehrpflicht am Brandenburger Tor in Berlin im Jahr 1999 Foto: Kai Horstmann/imago

Deutschland soll wieder kriegsfähig werden: Die neue Bundesregierung setzt dafür nicht nur auf weitere Aufrüstung der Bundeswehr, sondern plant auch einen „attraktiven Wehrdienst“, der laut Koalitionsvertrag „zunächst auf Freiwilligkeit basiert“. Dagegen regt sich nun Widerstand. Über die Ostertage posteten verschiedene In­flu­en­ce­r:in­nen Videos auf Social Media, in denen sie für Kriegsdienstverweigerung werben.

„Die Militarisierung findet statt, medial wird sie stark unterstützt“, sagt der Autor und Podcaster Wolfgang M. Schmitt der taz, der die Kampagne unterstützt. Das zeige sich an der Aufrüstung ebenso wie an der Forderung nach „Kriegstüchtigkeit“, die „von rechts bis linksliberal“ geäußert werde. „Da hilft es, früh Nein zu sagen.“ Er und sein Podcast-Kollege Ole Nymoen, der mit seinem Buch zur Kriegsverweigerung durch die Talkshows gereicht wurde, aber auch junge Ak­ti­vis­t:in­nen und ein Comedian erklären, warum sie im Ernstfall nicht für Deutschland dienen würden. Gleichzeitig verweisen sie auf eine neue Informationsseite der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK).

Die Organisation klärt seit Ende Februar auf der Seite verweigern.info über die Möglichkeiten der Kriegsdienstverweigerung auf. Allen Männern, die zwischen 18 und 60 Jahre alt sind, bereits gemustert und als „tauglich“ befunden wurden, wird geraten, einen Antrag auf Verweigerung einzureichen – und erklärt, wie das geht. Männer, die noch nicht gemustert wurden, sollten dagegen keinen Antrag stellen, um nicht auf dem „Radar“ der Bundeswehr zu erscheinen. Die obligatorische Musterung in Deutschland wurde 2011 im Zuge der Aussetzung der Wehrpflicht eingestellt.

Die Kampagne und der wieder aufflammende Diskurs rund um die Wehrpflicht verschaffen der Friedensgesellschaft neuen Auftrieb, der politische Geschäftsführer spricht gar von einem „Revival“. „Allein seit Anfang April wurde die Seite über 100.000 Mal aufgerufen“, sagte Michael Schulze von Glaßer, politischer Geschäftsführer der Friedensgesellschaft, der taz. Auch die Mitgliederzahl der Organisation sei in den vergangenen Monaten angestiegen. Die Anfragenden seien oft junge Männer, so Schulze von Glaßer. Aber auch Eltern würden sich melden, die sich Sorgen machten, dass ihre Kinder künftig eingezogen werden könnten.

Den Trend zu mehr Verweigerungsanträgen bestätigt auch die Bundeswehr. Wie sie auf Anfrage der taz mitteilt, gab es in den vergangenen Jahren einen großen Anstieg an eingegangenen Verweigerungsanträgen, besonders von Re­ser­vis­t:in­nen und Personen, die noch nicht gedient haben. Während 2021 insgesamt 209 Anträge eingeschickt wurden, waren es 2024 knapp 3.000.

Wie viele allein in diesem Jahr bereits eingegangen sind, ist nicht bekannt, da die Bundeswehr die Zahlen nur jährlich erhebt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine YouGov-Umfrage von Anfang März, laut der 61 Prozent der 18- bis 29-jährigen Deutschen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht ablehnen.

Doch wie berechtigt ist die Sorge vor einer Rückkehr zur Wehrpflicht? Die Union hatte im Wahlkampf angekündigt, die Wehrpflicht wieder einführen zu wollen. Davon ist im Koalitionsvertrag so explizit nicht mehr die Rede. Zunächst soll das schwedische Modell eingeführt werden, was bedeuten würde, dass zunächst alle 18-jährigen Männer in Zukunft einen Fragebogen ausfüllen müssten, der Angaben zu Fitness, Gesundheit und Motivation abfragt. Der Wehrdienst selbst bliebe freiwillig.

Man gehe davon aus, dass dieses Modell ausreiche, um genügend Personal für die Bundeswehr zu rekrutieren, heißt es aus Fraktionskreisen der SPD. Die Debatte um Kriegsverweigerung wird deshalb als „vollkommen verfrüht“ kommentiert. Es werde auch langfristig die Möglichkeit geben, zu verweigern.

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7 Kommentare

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  • "Deutschland soll wieder kriegsfähig werden." Der erste Satz ist falsch und gibt die Linie des Artikels vor. "WIEDER kriegsfähig" suggeriert die Fähigkeit zum Angriffskrieg; wie sonst soll man das "WIEDER" verstehen? Die Fähigkeit zum Verteidigungskrieg ist eine völlig andere Kategorie!

  • Es hätte diesem Artikel



    Gut getan den aktuellen Gesetzesstand darzustellen. Die Wehrpflicht besteht weiterhin, sie wurde nur (ähnlich wie die Vermögenssteuer) ausgesetzt und kann bei bedarf jederzeit wieder in Kraft treten.



    Verweigern bedeutet auch nicht, dass man nicht zum Kriegsdienst eingesetzt werden darf. Das wurde bisher mangels Bedarfs so gehandhabt, kann sich aber ebenfalls schnell ändern.

  • Als ehemaliger Kriegsdienstverweigerer kann ich über diese Bewegung eigentlich nur noch den Kopf schütteln. Natürlich sehe ich, dass der einzelne Mensch als Soldat staatlich instrumentalisiert wird und gegebenenfalls in einen Krieg geschickt wird, der nicht der seine ist. Wir sprechen hier allerdings nicht von einem Angriffskrieg, wie ihn Nazi-Deutschland oder Russland als legitimes Mittel ansehen, sondern von der Abwehr von Angriffen und der Verteidigung liberaler Freiheiten.



    Ich frage mich, was denn für diese Kriegsdienstverweiger:innen eine Alternative zum bewaffneten Kampf gegen faschistische Angreifer darstellt? Eine schnelle Unterwerfung und die Akzeptanz antiliberaler Diktaturen? Diese Haltung zeigt für mich eine gewisse individualisierte Beliebigkeit und den Verlust jedes politischen Ideals, für das es sich zu kämpfen lohnt.

    • @Nathaniel:

      Die Alternative ist die Flucht.

  • Na wunderbar, es gibt eine Gruppe von Leuten, die vermutlich begeistert mitmachen und dan, wenn sie das Sagen in der Bundeswehr haben, uns bestimmt auch inneren Frieden schenken werden. Als 65-jährige Frau bin ich - kann man natürlich sagen - ohnehin fein raus. Aber ich wünschte tatsächlich, in meiner Jugend hätte es die Möglichkeit gegeben, als Frau zur Bundeswehr zu gehen.

  • "Wehrkraftzersetzer" ist ein Begriff aus der NS-Justiz und -Propaganda. Sich dann mit schwarz-rot-goldener Flagge des Staates, der eine Verweigerungsmöglichkeit einräumt, hinzustellen und sich aufzuspielen, als würde man an den Pranger gestellt, weil man im Alleingang das Unternehmen Barbarossa durch den NS-Militärapparat verhindert, ist einfach peinlich. Verkraftet das Ego es auch eine Nummer kleiner?

  • Ich habe den Wehrdienst zu einer Zeit verweigert, als der Kalte Krieg noch brenzlige Realität war und man durch die unselige Gewissensprüfung musste. Ich würde auch heute den Wehrdienst verweigern. Warum sollte ein (junger) Mensch für die Fehler einer (älteren) Mehrheit eintreten und bereit sein, zu töten und/oder zu sterben? Friedensarbeit beginnt in Friedenszeiten. Wer dann aber lieber auf Wettbewerb setzt und eigne Macht- und Wirtschaftsinteressen in seiner „Friedensordnung“ durchsetzt, braucht sich nicht wundern, wenn er auch auf gewaltbereiten Widerstand trifft.

    Auf die Frage meiner Gewissensprüfer nach dem Recht darauf, meine Freundin, mein Leben und meine Freiheit notfalls mit Waffengewalt zu verteidigen, habe ich mit einer Gegenfrage beantwortet: Ob ich also das Recht hätte, mit einer Maschinenpistole spazieren zu gehen und die Gewissensprüfer zu töten, die mich zum Wehrdienst zwingen wollen?

    Messerverbot und Kriegstüchtigkeit passen so gut zusammen, es könnte ein „rechter“ Obrigkeitsstaat werden.