Deutschlandkonzert von Television: Anti-Haltung bewahren
Mitreißende Musik, brillante Texte: Television um Mastermind Tom Verlaine ist eine Legende der New Yorker Punkszene. Nun spielt die Band in Berlin.
Der Rockintellektuelle ist eine New Yorker Erfindung der frühen Siebziger. Werke des französischen Symbolismus lesen und Gitarre spielen. Die Nachtseite der Stadt für sich gewinnbringend entdecken: Dies war damals ein rebellischer Akt gegen Abstumpfung, denn Popmusik galt als vulgär und die New Yorker Rockintellektuellen haben gegen diese hochkulturell-bürgerliche Denunziation eine spätexistenzialistische Antihaltung entwickelt.
Rockmusik ist Kunst, gerade weil sie vulgär ist. An einigen der wichtigsten Kapitel jener Geschichte beteiligt ist der Gitarrist Tom Verlaine, Mastermind der New Yorker Band Television.
Verlaine war es, der 1974 bei einem Spaziergang den Club CBGB’s in der Bowery ausfindig gemacht hat. Er überredete den Besitzer Hilly Kristal, dass seine Band dort eine Chance erhält. Fortan traten Television während anderthalb Jahren jeden Sonntagabend live im CBGB’s auf. Das Quartett erfand sich laut Augenzeugen erst bei diesen Gigs.
Nicht nur Television wuchsen auf der Bühne des CBGB’s, etwas später auch befreundete Künstler wie die Ramones, Patti Smith oder Blondie: Eine Szene, zu der man alsbald Punk sagen sollte. Heute ist ihr Status legendär, damals scheiterten fast alle Künstler kommerziell.
Tom Verlaine aber hat überlebt. Dass er mitunter in Vergessenheit geriet, hat nichts an seiner Attitüde geändert, wie er mir in einem Interview erzählt hat: „Viele meiner Kollegen haben, als sie Popstars wurden, die Musik außer Acht gelassen. Sie sehnten sich zu sehr danach, im Rampenlicht zu stehen. Als die Erfolge ausblieben, verloren sie die Kontrolle. Vielleicht hat mein Überlebenswille mit meiner ungebrochenen Leidenschaft für Musik zu tun.“
Verlaine vermeidet tunlichst jede Möglichkeit, seinen Legendenstatus öffentlich auszukosten. Er will einfach nur Gitarre spielen. „Um Mitternacht nehme ich die Gitarre in die Hand und lege sie selten vor sechs Uhr morgens beiseite. Das ist so, seit ich 1968 nach New York gezogen bin.“
Television, live im „Huxleys“ Berlin, 5. April
Auf diese Weise entwickelte er sich zu einem fantastischen Gitarristen: Reduziert, aber auch hymnisch; wenn es sein muss, klingt Verlaines Gitarre laut und verzerrt, aber sie plärrt nie, Verlaine behandelt sie delikat, spielt nuanciert. Sein Spiel hat eine lyrische Note. Bevor er von Rocksongs inspiriert wurde, hörte er über Jahrzehnte ausschließlich Klassik und Jazz.
Das Falsche tun, und es wird trotzdem richtig
Verlaine hat die Zeit des Ausprobierens als schwierigen Prozess in Erinnerung. Er sagt, es sei eine Art Häutung gewesen, bis er zu dem er wurde, der er ist. „Ich lernte, dass man sich gegen Widerstände durchsetzen muss, als ich ein Buch über den legendären Baseballspieler Lou Gehrig las. Das Geld seines Vaters reichte gerade für einen gebrauchten rechten Fanghandschuh. Gehrig war aber Linkshänder und musste den Handschuh umdrehen, um ihn benutzen zu können. Mich hat daran inspiriert, dass man das Falsche tun kann und es schließlich doch richtig wird.“
Verlaine ist ein brillanter Textdichter: frenetisch, reflektiert, wortgewandt: „What I want / I want NOW / And it’s a whole lot more than ‚anyhow‚ / I want to fly / Fly a fountain / I want to jump jump jump / Jump a mountain“, heißt es in „See No Evil“, dem Auftaktsong auf „Marquee Moon“, dem 1977 erschienenen Debütalbum von Television. Unterhalb der ausgeruhten Rocksongs, brodelt die Musik. Verlaines linkische, leicht puerile Art zu singen hat er sich bewahrt.
In den 42 Jahren ihres Bestehens haben sich Television rar gemacht. Neben „Marquee Moon“ sind zwei weitere Studioalben erschienen und einige Singles. Gründungsmitglied Richard Lloyd hat 2007 die Band verlassen, die anderen drei – neben Verlaine der Bassist Fred Smith und der Drummer Billy Ficca, spielen seither mit dem Gitarristen Jimmy Rip, der ohnehin regelmäßig auf Verlaines Soloalben zu hören war.
Nun heißt es, Television arbeiten an einem neuen Werk und sie treten auch wieder live in Erscheinung. Im Jahr 2002 gastierten sie zuletzt in Deutschland, bei einem Gig im Rahmen des Megafestivals „Hurricane“ im norddeutschen Scheeßel. Auf einer Nebenbühne im Schlamm zwischen Bungeejumping-Kran und Batik-T-Shirt- Stand mussten sie die Sonntagsmatinee übernehmen.
Nun gibt es die Gelegenheit, die Band auf einer richtigen Bühne zur Nachtzeit im altehrwürdigen Berliner Tanzsaal Huxleys zu erleben. Man sollte Television und Tom Verlaine keinesfalls verpassen.
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