Deutschlandfahnen: Die große Patriotismusdebatte
Das deutsche Team ist raus. Aber es wird wiederkommen. Was auch wiederkommen wird: die Deutschland-Fahnen. Aber darf man das, für Deutschland sein?
Im Laufe der EM hat die taz die große Patriotismusdebatte geführt – kontrovers, in Farbe und unter Beteiligung der taz-Kommune. Hier einige Beiträge zur Debatte:
Der Leipziger Ost-West-Konflikt: Mit dem Rad war Petra Stoppel unterwegs. Sie war zu Besuch und ließ sich von ihrer Leipziger Freundin die Stadt zeigen. Die Webdesignerin stammt aus München und lebt inzwischen in einem Dorf in Sachsen-Anhalt. Sie ist immer noch beeindruckt von den Unterschieden zwischen Ost und West. „Es stehen so viele Häuser leer“, wunderte sich Stoppel und machte ein Foto von der bürgerlichen Straße.
Das Neuköllner Balkonduell: Seit Jahren schmücken Hannelore und Detlef Süß (Balkon rechts) zu großen Turnieren ihren Balkon. Auch der Sohn aus dem Nachbarhaus macht mit. Seit Kurzem erst leben Patrice und ihr Freund (Balkon Mitte) zwischen den beiden Wohnungen der Familie Süß. Die Nachbarn kennen sich nur vom Sehen.
Vor der EM traf der 29-jährige Süß (Balkon links) seine neue Nachbarin Patrice im Hausflur. „Wenn euch die Fahnen stören, gebt Bescheid“, sagte er. Patrice entgegnete: „Das ist schon in Ordnung. Vielleicht setzen wir was dagegen.“ Hannelore Süß' Reaktion: „Den in der Mitte müsste man in der Pfeife rauchen! Der ist doch kein richtiger Deutscher!“ Das mit dem Vorrundenaus hat zwar nicht geklappt, aber mit der Niederlage im Halbfinale dürfte Patrice auch zufrieden sein.
Die sächsische Mülleimerfrage: Gerade wollte Thomas Dudzak seine Kippe wegwerfen, als er die zerknüllte Fahne im Mülleimer erblickte. Der Mülleimer vor dem Rathaus im sächsischen Kitzscher schluckte die kaputte Autofahne. Der 27-Jährige findet es merkwürdig: „Die Menschen tragen so ein Nationalsymbol als etwas Ehrenhaftes und kaufen das billigste Zeug, was auf der Autobahn sofort abfliegt.“
Der Dossenheimer Özil-Streit: Christoph Nestor hatte die Fahne schon zur WM 2010 für seinen Lieblingsspieler Mesut Özil gebastelt: „Ich war verknallt in seine Spielweise.“ Aber als er die mit Papier beklebte Fahne zum Turnierbeginn wieder vor dem Haus platzierte, flatterte ein Brief ins Haus: „Haben Sie keinen Nationalstolz ????????????“, fragt der anonyme Verfasser. „Das Aushängen Ihrer kombinierten Fahne beleidigt beide Länder. Ihre Flagge hat nichts mit Sport oder Integration zu tun.“
Außer dem Brief habe Nestor noch keine negativen Äußerungen zu seiner Fußballdeko gehört. Aber Dossenheim bei Heidelberg ist eine kleine Stadt mit 12.000 Einwohnern. „Ich denke, keiner sagt öffentlich etwas gegen meine Fahne.“ Leider hat ein starker Regen in der Nacht Mond, Stern und Nachnamen des Spielers runtergewaschen. „Immerhin steht da noch Mesut. Sonst könnte der Briefschreiber denken, ich wäre wegen seines Textes eingeknickt“, sagt der 59-Jährige. Nestors großer Wunsch ist, dass sein Lieblingsspieler die Fahne auch mal sieht: „Aber ich glaube, Özil liest während der EM wohl nicht die taz.“
Die Freiburger Lösung: „Überall nur Deutschlandfahnen. In den Geschäften gibt es fast keine anderen Nationalflaggen zu kaufen“, sagt Berthold Noeske. Er wollte dagegen halten. Animiert durch die große Patriotismusdebatte der taz zog der 68-Jährige seine Anti-Atomkraft-Fahne ein und ersetzte sie durch das bunte Tischtuch. Mit Sicherkeitsnadeln und Klebeband befestigt soll die Multi-Fahne nun bis Sonntag hängen. „Ich mag das nicht, wenn alle ihr Land als das Größte darstellen“, sagt der Freiburger. „Über schönen Fußball können sich alle Nationen freuen.“ Die Reaktion der Nachbarn: Nüscht. Die kennen aber auch schon lange Noeskes Gartenzwerg. Auch der ist multinational und hält fünf Flaggen in die Luft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Habeck fordert Milliardärssteuer
Wer glaubt noch an Robert Hood?
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mehr Zugverkehr wagen
Holt endlich den Fernverkehr ins Deutschlandticket!
Vorteile von physischen Spielen
Für mehr Plastik unterm Weihnachtsbaum
Gründe für das Aus der SPD-Kanzler
Warum Scholz scheiterte