Deutschland vor dem Menschenrechtsrat: Etwas selbstgefällig
Nach der dreistündigen Debatte des UN-Menschenrechtsrats über die Situation in Deutschland sind die Vertreter der Regierung erleichtert: "Es hätte schlimmer kommen können".
In Artikel 26 der Genfer Flüchtlingskonvention heißt es: "Jeder vertragschließende Staat wird den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in seinem Gebiet befinden, das Recht gewähren, dort ihren Aufenthalt zu wählen und sich frei zu bewegen […]."
Artikel 2 der Antifolterkonvention besagt, dass "außergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand, nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden" dürfen.
Artikel 1 des Cedaw-Abkommens zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau definiert diese als "jede mit dem Geschlecht begründete Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung, die zur Folge oder zum Ziel hat, dass die auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau gegründete Anerkennung, Inanspruchnahme oder Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch die Frau im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, staatsbürgerlichen oder jedem sonstigen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird". Die Bundesregierung wird dafür kritisiert, Artikel 11 nicht zu erfüllen: "Die Gesetze zum Schutz der Frau in den in diesem Artikel genannten Bereichen werden in regelmäßigen Abständen anhand der wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse überprüft und erforderlichenfalls geändert, aufgehoben oder erweitert."
Hinterher war Gernot Erler sehr erleichtert: "Deutschland wurde nicht an den Pranger gestellt", sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt und gab zu, dass er sich "auf Schlimmeres vorbereitet" hätte. Ähnlich zufrieden zeigte sich der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Peter Altmaier.
Die beiden Abgesandten mussten am Montag auf die schriftlichen und mündlichen Fragen, Kritiken und Vorschläge von 52 der 192 UN-Mitglieder zu dem Bericht über die Menschenrechtslage in Deutschland reagieren, den die Bundesregierung im November 2008 vorgelegt hatte. Der Bericht ist Teil des "Allgemeinen Periodischen Überprüfungsverfahrens" (Universal Periodic Review, UPR), das im Zuge der im Jahr 2005 beschlossenen UN-Reformen eingeführt wurde und für alle Mitgliedsstaaten verbindlich ist.
Mit Deutschland kam das 48. Land in die Anhörung vor dem Menschenrechtsrat. Im Unterschied zu manchen früheren Anhörungen war der Ton der Debatte unpolemisch und weitgehend unideologisch. Die meisten Beiträge sorgten sich um die Diskriminierung von ethnischen oder religiösen Minderheiten in Deutschland, um rassistische und rechtsextreme Gewalt sowie die mangelnden Rechte und Chancen von "Menschen mit Migrationshintergrund" in Deutschland. Erler und Altmaier räumten Probleme und Defizite ein, stellten in ihren Antworten aber jeweils die "umfangreichen Bemühungen" der Bundesregierung um die Überwindung von Missständen in den Vordergrund. Die Behauptung, es gebe ein "Kopftuchverbot" in Deutschland, mit der Vertreter islamischer Staaten ihren Vorwurf der Diskriminierung von Musliminnen in Deutschland begründeten, wiesen die Vertreter der Bundesregierung zurück. Es gebe ein "unterschiedslos für Anhänger aller Religionen geltendes Verbot, im Lehrberuf oder anderen öffentlichen Funktionen religiöse Symbole zu tragen".
Die Aufforderung zahlreicher RednerInnen, Deutschland solle endlich die "UN-Konvention über die Rechte von Wanderarbeitern und ihren Familienangehörigen" unterschreiben, wiesen Erler und Altmaier ebenfalls zurück. Der Begriff des "Wanderarbeiter" existiere in Deutschland nicht und sei auch in der UNO-Konvention "nicht klar definiert", lautete ihre Begründung.
Mitunter sehr viel deutlicher und präziser als die DiplomatInnen anderer Staaten äußerten sich Vertreter des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) sowie die 52 im "Forum Menschenrechte" zusammengeschlossenen Nichtregierungsorganisationen (NRO). "Deutschland ist zwar kein Unrechtsstaat, aber es gibt in Deutschland relevante menschenrechtliche Probleme", sagte DMRI-Direktor Heiner Bielefeldt. Konkret nannte er den Umgang mit Menschen ohne gültige Ausweispapiere, denen de facto der Zugang zu Gesundheitsversorgung und anderen existenziellen staatlichen Leistungen versagt werde.
Gravierende Verletzungen von Menschenrechten sehen das DIMR und die Nichtregierungsorganisationen im Bereich Flüchtlings- und Asylwesen. Doch hier verschleiere die Bundesregierung mit dem Verweis auf die EU die "erhebliche nationalstaatliche Mitverantwortung Deutschlands" für die immer restriktivere Abschottungspolitik der EU und damit für den Tod und das Leiden zehntausender Menschen an den Außengrenzen Europas, betonten Bielefeldt und die Vertreterin von Amnesty International, Julia Duchrow.
Tatsächlich, so erläuterte Bielefeldt, verliefen "die Außengrenzen Europas über Berlin". Forumssprecher Jochen Motte kritisierte, dass das DIMR im Unterschied zu den nationalen Menschenrechtsinstitutionen anderer Staaten "kein Mandat für eigene investigative Arbeit sowie zur Entgegennahme von Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen" habe.
Erler wies diese Kritik zurück mit dem Hinweis, diese Verantwortung liege in Deutschland beim Menschenrechtsausschuss des Bundestages. Bielefeldt forderte zudem, das Amt eines Ombudsmannes für Menschenrechtsfragen zu schaffen, wie es in Spanien und anderen europäischen Ländern existiert. Doch ein solches Amt ist laut Altmaier "nicht nötig", da Deutschland über ein im Vergleich zu anderen Ländern "sehr dichtes Gerichtssystem" verfüge, das "den Bürger die Klage gegen jeglichen staatlichen Akt ermöglicht".
Beim Thema Menschenrechte gebe es in Deutschland "eine Tendenz zur Selbstgefälligkeit", konstatierte Bielefeldt. Andere Staaten, die "durchaus größere Probleme" hätten, gingen damit offener und selbstkritischer um. Auch Forumsvertreter Theodor Rathgeber beklagte die "mangelnde Courage und Selbstsicherheit der Bundesregierung" und erinnerte in diesem Zusammenhang an die überheblichen und teils rassistischen Reaktionen deutscher Medien und Politiker auf die Kritik an dem dreigliedrigen Schulsystem, die der aus Mexiko stammende Sonderberichterstatter der UNO für das Recht auf Bildung im vorigen Jahr formuliert hatte.
Kritik gab es auch zwei Räume weiter, wo der UN-Frauenrechteausschuss tagte und vor allem die mangelnde Gleichstellung von Frauen im Arbeitsleben kritisierte (siehe Interview).
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